Vollbesetzte Bonifatius-Kirche in Lingen beim Gedenken an die Schoah. Fotos: Christian Lange
Über 250 Besucherinnen und Besucher zeigten sich in der Bonifatiuskirche beeindruckt vom Konzert des Calvin-Chores und von Textbeiträgen des Forum Juden-Christen. Das Forum hatte gemeinsam mit der Stadt Lingen und der katholischen Stadtpastoral zum Gedenken an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1945 eingeladen. An den 80. Jahrestag der Rettung von nur noch 7.000 Überlebenden in Auschwitz sollte nach den Worten des Vorsitzenden des Forums, Simon Göhler, eine besondere Veranstaltung mit regionalem Bezug erinnern. Göhler: „Der Jahrestag mahnt uns, die Erinnerung und die Würde eines jeden Menschen wachzuhalten und unsere Stimme gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus zu erheben.“
Stefan Heskamp (im Bild rechts), Erster Bürgermeister der Stadt Lingen, sprach ebenfalls die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde an. Wie groß die Zahl der ermordeten Kinder, Frauen und Männer war, machte er mit einem Vergleich mit der heutigen Bevölkerung ganzer Bundesländer deutlich. Heskamp fragte sich, wie es zu den Verbrechen kommen konnte. „Wie konnten Nachbarn, Kollegen, sogar Freunde zu Tätern werden – oder zu Zuschauern?“
Mit dem Calvinchor der evangelisch-reformierten Gemeinden Lingen und Baccum konnte ein kongenialer Kooperationspartner für das besondere Gedenken gefunden werden.
Unter künstlerischer Leitung von Peter Alexander Herwig trugen der gemischte Chor und Solistinnen und Solisten Lieder aus dem jüdischen und christlichen Kulturkreis mit instrumenteller Begleitung von Lilith Feilmeier an der Orgel und Linda Moeken am E- Piano vor.
Die Violinistin Justine Uta Preckwinkel beeindruckte mit schwungvoller Klezmer-Musik. Die Psalmen von Louis Lewandowski sind ein Beispiel für die Verbindung von jüdischer und christlicher Musik. Antonin Dvoraks „Biblische Lieder“ sind musikalische Abbilder biblischer Texte. „Kiddusch“ von Kurt Weill, eindrucksvoll vorgetragen von der Mezzosopranistin Justine Rompa, ist ein musikalischer Segensspruch und war festlicher Ausklang des Konzertes.
Das Forum Juden-Christen trug Texte zum jüdisch-deutschen Verhältnis vor. Dr. Walter Höltermann, wegen Erkrankung fehlend, erinnerte an die Gründung der Aktion Sühnezeichen, die ursprünglich „Aktion Versöhnungszeichen“ genannt werden sollte. Von diesem Begriff ging die Evangelische Kirche aber ab, da „Versöhnung“ nicht einseitig verordnet werden könne.
Höltermanns Text wurde von Dr. Friedhelm Wolski-Prenger vorgetragen, der auf die Sichtweise des jungen jüdischen Autors Max Czollek einging. Czollek kritisiert in seinem Buch „Versöhnungstheater“ Defizite in der deutschen Erinnerungskultur. Versöhnung setzt Czollek zufolge eine menschliche Gegenleistung, eine wirkliche Wiedergutmachung ebenso voraus wie eine realistische Wahrnehmung heutigen jüdischen Lebens.
In einem „Dialog zur Zukunft“ ließen Angela Prenger und Holger Berentzen die ehemaligen jüdischen Ehrenbürger Ruth Foster-Heilbronn und Bernhard Grünberg zu Wort kommen. Ruth Heilbronn (1921 -2014) verlor ihre Eltern, die Geschwister ihres Vaters und deren Familien sowie neun der zehn Geschwister ihrer Mutter und deren Angehörigen in der Schoah. Bernhard Grünberg (1923 – 2021) beklagte den Mord an 17 Menschen aus dem Kreise seiner Verwandten. Neben seinen Eltern und seiner Schwester wurde auch sein nicht einmal zweijähriger Großneffe Herman Nico de Jong ermordet. Oft erklärte Grünberg: „Ich werde weder vergeben noch vergessen, was in Deutschland während des brutalen Regimes von Hitler und seinen Erfüllungsgehilfen geschah.“