Familie Markreich

Überarbeitete Fassung von „Grabsteine der Familie Markreich“ von Josef Möddel, das Bild stammt aus der Broschüre „Jüdische Friedhöfe im Emsland“.

Die im 19. Jahrhundert aus Leer im Ostfriesland stammenden Markreichs waren eine angesehene Lingener Kaufmannsfamilie. Max Markreich war Gardeunteroffizier im Ersten Weltkrieg. Er starb an einer Gasvergiftung im Lazarett zu Bad Kissingen und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Lingen beigesetzt (linker Grabstein).

Seine Mutter, Auguste Markreich, wurde im März 1938 neben ihrem 1929 verstorbenen Ehemann Aron Markreich begraben (rechter Grabstein). Der noch lebende Sohn Fredy musste sie auf sehr unwürdige Weise mit einem Handwagen zum jüdischen Friedhof bringen, da kein Beerdigungsinstitut dazu bereit war. Auch den Sarg hatte er selbst anfertigen müssen. Während der Beerdigung meinte eine Frau laut, dass Frau Markreich dieses nicht verdient hätte. Ein Gestapobeamter ermahnte sie daraufhin scharf, solche Äußerungen zu unterlassen. Sie bekäme sonst ernste Schwierigkeiten.

Fredy Markreich versuchte durch diese bitteren Erfahrungen noch das Schicksal zu wenden. Er zeigte im Schaufenster seines Textilgeschäfts die Auszeichnungen, die ihm während des Ersten Weltkrieges verliehen wurden. Dennoch wurde sein Geschäft am 10. November 1938 von der SA vollkommen zerstört, die Waren teilweise auf die Straße geworfen. Man führte ihn demonstrativ durch die Innenstadt und nahm ihn in sogenannte “Schutzhaft”.

Nach den Ereignissen in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1933 mussten die Juden nach einer Verordnung das Straßenbild wiederherstellen und eine „Sühneumlage“ bezahlen. Fredy Markreich hatte etwa 6 000 Reichsmark zu entrichten. Er war also gezwungen, Haus und Grundstück in der Hindenburgstraße (heute Große Straße) zu verkaufen. Dazu wurde er am 10. Dezember 1938 aus der “Schutzhaft” vom Polizeihauptmann vorgeführt.

Fredy Markreich beantragte am 10. Februar 1939 zur Ausreise nach Liberia einen Reisepass. Die damalige Auswanderungsberatungsstelle in Bremen bescheinigte ihm ernste Auswanderungsabsicht; gegen die Ausreise hatte die NSDAP-Kreisleitung in Lingen daraufhin keine politischen Einwände.

 

Paul Alexander
(Erlebnisbericht aus „Jüdische Friedhöfe im Emsland“)

Meppen, den 10. November 1938

„Am Morgen des 10. Novembers 1938 holte die SA alle Juden von Meppen aus ihren Häusern. Es blieb uns allen keine Zeit zum ordentlichen Anziehen, so dass einige nur mit Nachtkleidern bekleidet waren. Ich war mit Ernst Cohen (vom Markt) zu zweit im SA-Keller des Hauses an der Herzogstraße. Mich haben zwei SA-Männer über die Straßen dorthin getrieben. Dort hat man uns beide fürchterlich misshandelt, wir wurden geschlagen und gequält. SA-Männer zerschlugen leere Flaschen auf unseren Köpfen und durch die am Boden liegenden Flaschen zogen wir uns, da wir barfuß waren, Schnittwunden an den Füßen zu.

Die SA-Männer, die das getan haben, leben heute nicht mehr. Gegen zehn Uhr wurden wir in den Garten hinter dem SA-Haus gebracht. Dort traf ich meinen Vater und viele andere Juden aus benachbarten Orten. Non dort wurden wir auf Lastwagen nach Lingen ins Gefängnis gefahren. Am folgenden Tag brachte die SS uns in Viehwaggons der Bahn zum KZ nach Oranienburg. Eines Tages beim Appell hörte ich hinter mir jemanden in plattdeutsch sagen „Wie koamt ieh dann hier henn, wat makt ieh dann hier?“ Als ich mich umsah, staunte ich; ich sah Hermann Töller aus Meppen als Mitgefangenen. Er war bekanntlich Kommunist und deshalb im KZ.

Als wir nach sechs Wochen aus dem KZ entlassen wurden, ging es wieder ab nach Meppen. Kein Gerichtsprozess, keine Haftentschädigung. Im Gegenteil, nun mußten wir alle schwere Arbeit annehmen. In der Landwirtschaft, beim Straßenbau, im Kohlenhandel und so weiter. Wer von uns solche Arbeit nicht tun wollte, komme wieder ins KZ, wurde uns angedroht. Ich arbeitete auf dem Ulmenhof bei dem Landwirt Albers in der Landwirtschaft. In der Zeit gab es eine Welthilfsorganisation, die jüdischen Kindern beziehungsweise Jugendlichen unter 21 Jahren zur Emigration ins Ausland verhalf.

Im Juli 1939 erhielt ich Bescheid, daß ich einen Platz in einem Zug in Rheine belegen könne zur Ausreise nach England. Binnen 48 Stunden mußte ich in Rheine sein. Es war ein trauriger, schmerzlicher Abschied von meinen Eltern und Verwandten. In Eile wurde das Nötigste an Leibwäsche zusammengepackt. Nur mit einem Rucksack auf dem Rücken, worin mein ganze Habe war, und einer Mark in der Tasche fuhr ich zwar in die Freiheit, aber um welchen Preis!? Ich war damals 17 Jahre alt.

Von meinen Eltern sah und hörte ich nie wieder etwas. Sie wurden in ein KZ im Osten verfrachtet und umgebracht. Ich schreibe dieses nieder, damit es nicht vergessen wird. Seit 1939 wohne ich in London und bin britischer Staatsbürger geworden. Eines möchte ich aber zum Ausdruck bringen. Es gab in den bösen Zeiten auch gute Menschen in Meppen. Besonders sei die Familie W. V. vom Markt genannt. Sie hat uns in bitterer Not geholfen, was für sie sehr gefährlich war. Bis nach dem Kriege hat sie für mich Hausrat und Möbel verwahrt und sichergestellt. Ich konnte alles wieder in Besitz nehmen, als ich nach dem Kriege das erste Mal in Meppen war.“

Nach einem Bericht von Paul Alexander, London.