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Letztes erhaltenes Bethaus in Niedersachsen soll wieder belebt werden

von Jens Lintel

Freren, ein Fünftausend-Seelen-Nest im südlichen Emsland, irgendwo zwischen Osnabrück und der niederländischen Grenze. Alles sehr ländlich geprägt, abgesehen von typischen strukturellen Problemen der Region nichts Außergewöhnliches – aber eine Besonderheit gibt es: Freren hat wieder ein Bethaus.

1855 eingerichtet, ist es eines der ältesten und das letzte erhaltene in Niedersachsen. In der Pogromnacht entehrt und seither als reines Wohngebäude genutzt, soll das Bethaus nun saniert und in ein multifunktionales Zentrum verwandelt werden, das bundesweit ziemlich einzigartig sein dürfte: Besinnung, Begegnung der Religionen und Kulturen, Bildungsstandort, aber auch Gottesdienste und religiöse Feiern – alles unter dem Dach des unscheinbaren Wohngebäudes, gelegen zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche im Frerener Ortskern. Seit März hat es den Rang eines Baudenkmals.

Mit einem „Straßengespräch“, übrigens am Vortag des 9. Aw (17. Juli), des Gedenk- und Fasttages zur Erinnerung an die Zerstörung der Tempel in Jerusalem, wurden das Projekt und die Pläne zur Verwirklichung öffentlich vorgestellt. Eingeladen hatte das Forum Juden – Christen im Altkreis Lingen, das sich mit vielerlei Projekten für die jaErinnerung an jüdisches Leben im Emsland, für Dialog und Begegnungen einsetzt. Das Forum hat auch die Wiederherstellung des Bethauses angeregt und dabei die Federführung übernommen. Neben Vertretern des Forums und der Jüdischen Gemeinde Osnabrück standen die Bürgermeister der Stadt und der Samtgemeinde Freren und der Erste Kreisrat des Landkreises Emsland mit auf dem Podium in einem Zelt vor dem Bethaus an der Frerener Grulandstraße, in das etwa fünfzig Interessierte gekommen waren.

Nach Angaben von Reinhold Hoffmann, dem Vorsitzenden des Forums Juden-Christen hat die Jüdische Gemeinde des ehemaligen Regierungsbezirks Osnabrück das Gebäude für sechzigtausend Euro gekauft und stellt es dem Forum für die künftige Nutzung zur Verfügung. Die Pläne sehen vor, daß das Bethaus vollständig saniert sowie neu ausgestattet wird. Inklusive Ankauf ist ein Gesamtkostenvolumen von zweihundertfünfundfünfzigtausend Euro veranschlagt. Wunschtermin für die Übergabe ist der 9. November 2003. Die Finanzierung steht zwar noch nicht bis zum letzten Cent, Hoffmann ist aber zuversichtlich, das alles glatt über die Bühne geht.

Nach seinen Angaben sollen fünfzig Prozent der Sanierungskosten über Gelder aus öffentlichen Fördertöpfen (PRO Land) finanziert werden, die „fest zugesagt“ seien. Den Rest der Kosten, zu denen auch die Kaufsumme gehört, will das Forum über eine Spendenaktion aufbringen, die nach Hoffmanns Worten gut angelaufen sei. Seit dem Start im Mai sind bislang bereits fünfzigtausend Euro auf dem Spendenkonto eingegangen. Größere Beträge seien dabei, aber auch viele kleinere, von Institutionen ebenso wie von Privatpersonen, zum Teil sogar aus den USA, aber auch von Menschen aus der Umgebung, deren Spenden Hoffmann für „besonders wichtig“ hält. Ein Schulstaffellauf sei angekündigt, ein großes Benefizkonzert in den „Emslandhallen“ – auch dies sind nach Hoffmanns Meinung Zeichen dafür, daß das Projekt auch von der Bevölkerung mitgetragen werde.

„Die Frerener haben erkannt, daß das Bethaus auch eine große Chance für sie ist“, meint Hoffmann, wohlwissend, daß es in der Umgebung auch kritische Stimmen gibt. Die Gegner sind neidisch, sie fürchten, daß ihnen Anteile an öffentlichen Förderkuchen entgehen könnten. Andere argumentieren mit dem vermeintlich zweifelhaften Sinn und Zweck der Wiederherstellung des Bethauses, gebe es doch keine Juden mehr im Emsland.

Michael Grünberg, der im nahen Sögel lebende Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, der einer alten emsländischen Familie angehört, hält eine solches Argument für „ganz schön haarig“. Da werde, so Grünberg, zum Teil „mit sehr unschönen Mitteln um sich geschlagen“. Der Vorwurf, der Bau nütze so niemandem, entbehre jedenfalls jeder Grundlage. Umso wichtiger erscheint es ihm, daß es in Zeiten des „Möllemannismus“ auf der anderen Seite auch Projekte wie das Bethaus in Freren oder die Anbringung einer Gedenktafel an der nahegelegenen Gedächtniskirche gebe. „Das ist das, was mich aufrecht erhält und mir klar macht, daß es sich lohnt, weiter an Verständigung zu arbeiten.“

Forumschef Hoffmann will weiterer Kritik an dem Bethaus den Wind aus den Segeln nehmen. Um das zu erreichen, will er die Menschen aus der Region „breit in die Planung einbinden“ und bei der späteren Nutzung eng mit den Jüdischen Gemeinden Osnabrück und Enschede, den christlichen Kirchen der Region, Einrichtungen wie dem Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager in Papenburg zusammenarbeiten. Rückendeckung hat er auch von öffentlicher und politischer Seite: Das Projekt soll allseits „nach Kräften“ unterstützt werden.

„Wir werden eine Stätte der Begegnung und des Dialoges aller nur denkbaren Gruppen schaffen“, sagt Hoffmann, der vor allem erreichen will, daß „das Haus von seiner Geschichte spricht“ und daß es dazu beiträgt, „daß Judentum nicht mehr als etwas Fremdartiges erscheint“. Deswegen sei es wichtig, „daß sich dort wieder Juden zu Gebeten treffen können“.

Hier wird es ein wenig problematisch, denn in Freren gibt es keine Juden. Im gesamten Emsland, das mit seinen zweitausendachthundertachtzig Quadratkilometern der zweitgrößte Landkreis der Bundesrepublik und immerhin größer als das Saarland ist, leben nach Angaben des Osnabrücker Rabbiners Marc Stern gerade mal zwanzig Juden. Sie kommen in die Synagoge nach Osnabrück, der Weg nach Freren, so Stern, sei für die meisten kaum kürzer.

Damit doch wieder auch religiöses Leben unter dem Dach des alten Bethauses entsteht, erläuterte Stern im Gespräch, habe die Gemeinde mit dem Forum vereinbart, einige Male im Jahr kleinere Gottesdienste und Seminarwochenenden im Rahmen des Religionsunterrichts mit Jugendlichen in Freren abzuhalten. Außerdem sollen in dem Bethaus jüdische Festtage begangen und kleine Konferenzen abgehalten werden.

Stern freut die Initiative zur Wiederherstellung jedenfalls: „Wenn sich einem eine solche Möglichkeit bietet, sollte man sie in jedem Fall unterstützen. Wir als Gemeinde stehen hinter dem Projekt“, betont der Rabbiner, der es für eine „wunderbare“ Sache hält, daß das Bethaus nicht nur zu einem „starren Mahnmal“ wird. „Ein Zeichen des Trosts und der Hoffung“, sagt Stern. Möglicherweise, gibt Marc Stern zu bedenken, ergebe sich durch das Bethaus, das in religiöser Hinsicht eher eine „künstliche Sache“ sei, aber auch, daß sich ein oder zwei jüdische Emigrantenfamilien im Bereich Freren ansiedelten. Für sehr wahrscheinlich halten der Rabbiner und Michael Grünberg das allerdings nicht. Die meisten Zuwanderer, durch die die Osnabrücker Gemeinde von weniger als einhundert auf fast neunhundert Mitglieder angewachsen ist, seien in die Stadt Osnabrück oder in den Osnabrücker Südkreis gezogen, wo es auch Übergangswohnungen für sie gebe.

Allerdings ermögliche das Bethaus auch ganz „neue Optionen“ im Emsland. Forumsvorsitzender Reinhold Hoffmann jedenfalls wünscht sich, „daß es wieder vermehrt zu jüdischem Leben in Freren und der Region kommt“. Das aber, so Hoffmann, sei ein „sensibler Bereich“ und bedürfe auch des „Willens der Kommunen“.

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