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Jüdischer Bürger feiert nächsten Samstag in den USA seinen 90. Geburtstag – Geschenk unterwegs

Von Thomas Pertz

Freren
Karl Meyberg kennt Freren noch aus einer Zeit, als die Bahnhofstraße Adolf-Hitler-Straße hieß, kennt Bürger aus der Stadt, an die er sich nicht mehr erinnern möchte, aber auch viele Menschen, mit denen er gemeinsam schöne Kinder- und Jugendjahre verbracht hat. Vielleicht gehen seine Gedanken in diesen Tagen aus dem fernen Kalifornien besonders intensiv zurück in die Stadt, in der der Jude 1912 geboren wurde. Meyberg feiert am nächsten Samstag, 6. April, seinen 90. Geburtstag.

Die Stadt Freren hat ihren ehemaligen Mitbürger nicht vergessen. Auf dem Tisch in der Jüdischen Geschichtswerkstatt Samuel Manne liegt in einem dicken Briefumschlag ein Geschenk der Kommune. ,,Darin ist ein Video über Freren und eine Bilddokumentation mit alten Fotografien von Straßen und Plätzen, die Karl Meyberg sicherlich noch ein Begriff sind”, erzählt Lothar Kuhrts.
meyberg

Der Leiter der Jüdischen Geschichtswerkstatt in der Alten Molkerei ist mit der Biografie Karl Meybergs, die durch das verbrecherische Regime des Nationalsozialismus maßgeblich beeinflusst worden ist, gut vertraut. ,,Er ist ein echter Frerener Junge”, betont Kuhrts.
Meyberg wurde am 6. April 1912 als fünftes Kind von Joseph und Emma Meyberg geboren. ,,Er besuchte die evangelische Schule in Freren”, berichtet der Lehrer. Da Meybergs Vater, wie so viele andere Juden in der Region, Viehhändler und Schlachter war, lag es nahe, dass Karl eine Schlachterlehre absolvierte. Er bestand sie bei Schlachter Silbermann in Meppen mit der Note sehr gut.
Karl Meyberg erlebte mit seinem Bruder Samson und den drei Schwestern Frieda, Selma und Johanna eine recht unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit. Selma starb als junge Frau 1934 an Epilepsie. Sie ist auf dem jüdischen Friedhof in Freren begraben.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 veränderte sich aber auch sehr rasch das politische Klima in Freren. Beim Auswechseln von Straßennamen blieb es nicht. Als Meyberg 1934 beim Schützenfest in Freren das Zelt betreten wollte, wurde ihm der Eintritt verwehrt. ,,Es gab dann ein Wortgemenge und anschließend eine Schlägerei”, weiß Lothar Kuhrts aus späteren Berichten von Meyberg.
Der spürte schnell, dass ihm die Luft zum Atmen im Emsland zu dünn wurde. Nach Absprache mit seinen Eltern machte er sich ins Ruhrgebiet auf und bereitete 1935 von Essen aus seine Emigration nach Südafrika vor. In der Nähe von Pretoria gründete der Frerener mit einem Bekannten einen Fleischbetrieb.
In Südafrika heiratete Meyberg Cilly Lion aus Wesel. Die junge Frau war Hausmädchen bei Meybergs Eltern in Freren. Karl Meyberg hatte sie vor seiner Abreise aus Deutschland kennengelernt. Als er hörte, dass Cilly Lion in Freren als Jüdin und wegen ihrer Arbeit im Haus eines Juden drangsaliert wurde, kümmerte er sich um ihre Ausreise.
Südafrika war aber auch nur eine Zwischenstation für ihn. Die rassistische Apartheidpolitik dort, wo Menschen nur wegen ihrer Hautfarbe in zwei Klassen eingeteilt wurden, erinnerte ihn zu sehr an das, was sich in Nazideutschland abgespielt hatte. Das Ehepaar Meyberg emigrierte deshalb 1946 in die USA und siedelte nach San José in Kalifornien über, wo es noch heute mit seinen vier inzwischen erwachsenen Kindern lebt.
Meyberg baute dort einen großen Fleischereihandel auf. Auch sein Bruder Samson zog zu ihm nach Kalifornien. Er hatte Freren 1938 mit seiner Familie zunächst nach Bremen und dann Richtung Kolumbien verlassen. Doch was geschah mit den Daheimgebliebenen?
Karl Meybergs Schwester Frieda hatte einen Christen geheiratet und war nach Osnabrück gezogen. Das schützte sie nicht vor der Deportation nach Theresienstadt Ende 1944. Dort wurde sie aber befreit. Ihre Tochter Josefine galt als Halbjüdin. Sie wurde Ende Januar in Osnabrück verhaftet und nur deshalb nicht deportiert, weil die Bombardierung des Güterbahnhofes einen Abtransport unmöglich machte. Sie lebt heute noch in Osnabrück.
Meybergs dritte Schwester Johanna hatte einen niederländischen Juden geheiratet und war nach Amsterdam gezogen. Nach der Pogromnacht von 1938 emigrierten die Eltern Joseph und Emma Meyberg von Freren in die Niederlande und zogen zu ihrer Tochter nach Amsterdam. Joseph Meyberg war inzwischen 75 Jahre alt. ,,Es zeigte sich aber, dass nur diejenigen Juden dem Holocaust entkamen, die weit genug emigriert waren”, berichtet Lothar Kuhrts. Karl Meybergs Eltern, seine Schwester Johanna, deren Mann und ihre Töchter wurden ins Lager Westerborg geschafft und von dort aus nach Auschwitz und Sobibor deportiert.
Die Umstände des gewaltsamen Todes seiner hochbetagten Eltern könne Karl Meyberg nicht vergessen, betont Kuhrts, der während der späteren Besuche von Meyberg in Freren viel mit ihm zusammengesessen hat. Zuletzt kam er mit seiner Frau 1990 ins Emsland. Sechs Jahre zuvor hatte ihn noch sein Bruder Samson begleitet, der kurz darauf starb. Lothar Kuhrts erinnert sich noch recht gut daran, wie Karl Meyberg damals von älteren Leuten in Freren empfangen wurde. ,,Es hieß überall ‚Kalli hier’ und ‚Charlie da'”, berichtet er von der herzlichen Begrüßung durch alte Freunde.
Über Gratulationen aus seiner Geburtsstadt würde sich Karl Meyberg deshalb sicher freuen. Lothar Kuhrts hat seine Adresse in den USA. ,,Es wäre vielleicht das schönste Geschenk, das man ihm machen könnte”, meint der Lehrer.

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