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Überlebende von Auschwitz in Jüdischer Schule

Lingen (pe)
Nach rechts ging es zum Leben, nach links in den Tod: als Hella Wertheim im Oktober 1944 an der Rampe von Auschwitz vor SS-Arzt Dr. Josef Mengele stand, entschied ein kurzer Augenblick über ihr weiteres Schicksal. Das junge Mädchen durfte nach rechts gehen, ihre Mutter musste nach links…

wertheim-373 Jahre ist Hella Wertheim inzwischen, Gildehaus in der Grafschaft Bentheim ist ihre Heimat. Am Mittwochabend erzählte sie auf Einladung des Forums Juden-Christen in der Jüdischen Schule in Lingen aus ihrer Biografie, in die der Nationalsozialismus der Jahre von 1933 bis 1945 auf fürchterliche Art und Weise Narben hinterlassen hat. Hella Wertheim hat ihre Leidensgeschichte aufgeschrieben. ,,Immer alles geduldig getragen”, heißt das Buch. In der Jüdischen Schule las sie Passagen daraus vor. Der Vortrag durch die Zeitzeugin verstärkte noch die Wirkung ihrer Worte.

Gerade 64 Pfund wog Hella Wertheim noch, als sie im Mai 1945 von den Amerikanern befreit wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie im KZ bei Lenzing in Österreich gefangengehalten. Dorthin waren sie und andere Leidensgefährtinnen von Auschwitz aus deportiert worden, nachdem die Front immer näher gerückt war. Auch in Österreich wurde die Situation für die Nazi-Schergen bedrohlicher. Die Wachmannschaften befahlen den Lagerinsassen schließlich, Gräber auszuheben. ,,Den Planungen zufolge sollten es unsere eigenen sein”, berichtete Hella Wertheim. Doch sie behielt das kleine Stück Leben, das ihr noch geblieben war. Halb verhungert, ganz allein, aber vor allem befreit erlebte sie den 5. Mai 1945 als Tag ihrer zweiten Geburt.

Zeitzeugen wie Hella Wertheim seien ungemein wertvoll, da sie der schrecklichen Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus eine besondere Authentizität verleihen würden, sagte der Vorsitzende des Forums, Reinhold Hoffmann. ,,Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen, damit sich diese Verbrechen nicht wiederholen”, betonte Hoffmann. Er zollte Menschen wie Hella Wertheim, die den Mut aufbrächten, von ihren leidvollen Erfahrungen zu berichten, hohen Respekt. Der Vorsitzende des Forums mahnte auch weiterhin zur Wachsamkeit. ,,Es braucht heute nur einer anders auszusehen oder eine andere Sprache sprechen ,schon ist er der Feind”.

Hella Wertheim, ein Opfer deutschen Rassenwahns, und dennoch ein Mensch mit Schuldgefühlen: ,,Hätte ich meine Mutter retten können, wenn ich an der Rampe neben ihr gestanden hätte?”, sei eine Frage, die sie sich immer wieder stelle. Sie stand kurz hinter ihr, während sich neben ihrer Mutter eine ältere Frau befand. Beide mussten nach links. Auschwitz habe ihr ganzen Leben geprägt und sie könne bis heute nicht verstehen, warum die Alliierten damals das KZ nicht bombardiert hätten, um die Vernichtungsmaschinerie in den Gaskammern zu stoppen, sagte die 73-Jährige.

In der Diskussion ging es auch um die Frage, welchen Beitrag jeder einzelne leisten könne, damit niemand in der Gesellschaft ausgegrenzt werde. Begriffe wie Zivilcourage fielen und auch die Aufforderung, Verhaltensänderungen nicht nur bei anderen zu bewirken, sondern zunächst bei sich selbst anzufangen. Einen Beitrag zur Friedenserhaltung könne jeder einzelne leisten.

Paul Haverkamp, Lehrer an der Friedensschule in Lingen, ordnete diesen Aspekt vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 11. September letzten Jahres abschließend in einen größeren Zusammenhang ein. ,,Dem Weltfrieden muss zunächst ein Religionsfrieden zwischen den monotheistischen Religionen Islam, Judentum und Christentum vorausgehen”, meinte der Religionslehrer.

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