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Straße erinnert an eine beliebte Lingener Jüdin – Als Küchenhilfe tätig – ,,Mahnung und Verpflichtung im Alltag”

Lingen
Henriette Flatow war keine herausragende Persönlichkeit – weder im öffentlichen Leben, noch im wirtschaftlichen Bereich. Sie war eine einfache Frau, die ihre Tätigkeit als Küchenhilfe im Bonifatius-Hospital verrichtete. Die bei den Mitarbeitern beliebte Rentnerin war arm. Als so genannte Pfründerin erhielt sie Unterstützung von der Kirche. Als Jüdin geriet auch Frau Flatow in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Im Jahr 1942 wurde die Rentnerin im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Welchen Ängsten und Qualen die Lingener Bürgerin ausgesetzt war, lässt sich nicht ermessen.

Zur Erinnerung an die Lingener Jüdin wurde jetzt das Teilstück der Baccumer Straße, das zwischen altem und neuem Krankenhaustrakt hindurchführt, in ,,Henriette-Flatow- Straße” umbenannt Der Termin für die feierliche Enthüllung des Straßenschildes am Montagnachmittag, an der zahlreiche Vertreter des Rates und der Stadtverwaltung sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger teilnahmen, war bewusst auf den 29. Juli gelegt worden. Exakt vor 60 Jahren, also am 29. Juli 1942 gab es das letzte Lebenszeichen von der alten Frau. Es handelte sich um einen Eintrag in die Meldekartei, wonach sie auf Anordnung der Gestapo nach Münster “überführt” wurde.

Oberbürgermeister Heiner Pott: “Mit der Umbenennung der Straße können wir natürlich nicht die früheren Ereignisse ungeschehen machen. Wir können aber daran erinnern und dafür sorgen, dass Frau Flatow aus ihrer Anonymität herausgeholt und ihr ein ehrendes Andenken gegeben wird.”

Das Straßenschild bedeute deshalb auch für die Zukunft eine Herausforderung. Bei diesem Symbol dürfe es aber lt-31-07-02 nicht bleiben. Es gelte, sich jeden Tag dieser Herausforderung zu stellen. “In diesem Sinn hoffe ich,’ dass das Schild neben einer Würdigung von Henriette Flatow auch gleichzeitig für uns Mahnung und Verpflichtung im Alltag ist”, sagte der Oberbürgermeister,

Henriette Flatow wurde am 18. Januar 1866 in Wormditt, Kreis Braunsberg (Ostpreußen), geboren. Sie blieb ledig. 1915 zog sie von Rheine nach Lingen und wohnte dort zunächst an der Rheiner Straße, später dann an der Kaiserstraße im großen Eisenbahnermietshaus gemeinsam mit der jüdischen Familie Gustav Joseph.

Wahrscheinlich im Jahr 1929 wechselte sie als Pfründnerin in das Bonifatius-Hospital, wo sie in der Küche tätig war. In der Meldekartei wurde Frau Flatow als Invalidin bezeichnet. Das Adressbuch von 1938 wies sie als Rentnerin aus, wohnhaft in der Gymnasialstraße 12.

Nach den Worten von Pott hat sich die Stadt in den vergangenen Jahren in sehr verschiedener und vielfältiger Weise darum bemüht, die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten wach zu halten. In diesem Zusammenhang hob er vor allem die erfolgreichen Bemühungen hervor, die ehemalige Jüdische Schule als Gedenkort zu erhalten. Lobend erwähnte der Oberbürgermeister vor allem das Engagement des Forums Juden- Christen, aber auch anderer gesellschaftlichen Gruppen sowie der Schulen.

Reinhold Hoffmann, Vorsitzender des Forums Juden-Christen, lenkte den Blick darauf, wie erschreckend “normal” die Verschleppung von Bürgern jüdischen Glaubens ablief. “Nicht etwa bei Nacht und Nebel, sondern vielmehr unter den sehenden Augen der damaligen Bevölkerung wurden Nachbarn, Kollegen, Freunde, die zuvor zum gesellschaftlichen Leben dazugehörten, nun aber aller persönlichen Rechte beraubt waren, wie Vieh abtransportiert”, sagte Hoffmann.

Ab Oktober 1941 begann die Geheime Staatspolizei im Reichsgebiet mit den Vorbereitungen zur völligen Entrechtung der jüdischen Mitbürger, die Schritt für Schritt umgesetzt wurde. Hoffmann: “Heute können wir uns nur schwer vorstellen, dass hier kein Aufschrei durch die Bevölkerung ging.”

Der Vorsitzende des Forums wies auf eine Rede des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, vor dem Brandenburger Tor hin. Spiegel sagte: “Wir sind es den Opfern der Shoa schuldig, sie und ihre Leiden niemals zu vergessen. Wer diese Opfer vergisst, tötet sie noch einmal.”

Die Straßenumbenennung ist nach den Worten von Hoffmann ein Denkanstoß. Mit dem Herausheben von einzelnen Namen dieser grauenvollen Zeit werde die Lebensgeschichte auch von Henriette Flatow ins öffentliche Bewusstsein gebracht. “Wichtig ist, Geschichte zu dokumentieren, sie mit Stadtgeschichte zu verknüpfen, um so für heute und morgen an eine unbeschreiblich schlimme Zeit zu erinnern. Mit dieser Straßenumbenennung ist dieses nach Benennung der Synagogenstraße, des Jakob-Wolf-Platzes und der Jakob-Wolf-Straße und nicht zuletzt durch die Schaffung des Gedenkortes jüdische Schule in unserer Stadt zum wiederholten Male vorbildlich gelungen.”

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