An der Marienschule Lingen wurde am 3. 6. 2019 eine Ausstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu den Erscheinungsformen des Rechtextremismus eröffnet.

Zu den geladenen Rednern zählte auch der Vorsitzende des Forums Juden-Christen, Dr. Heribert Lange. Hier seine Ansprache:

Demokratie stärken –Rechtsextremismus bekämpfen

Liebe Lehrerinnen und Lehrer der Marienschule, liebe Schülerinnen und Schüler!

Es ist nicht ganz einfach, zu erklären, was Rechtsextremismus wirklich ist. Leichter ist es, zu erklären, was Rechtsextremismus bedeutet: Es handelt sich nämlich um eine politische Bewegung, die das Gleichheitsprinzip und ebenfalls das Prinzip der Gerechtigkeit und am Ende auch das Freiheitsrecht und die Garantie dieser Prinzipien für wirklich jeden Bürger eines Staats leugnet, mindestens aber in Frage stellt – in die Frage nämlich des Befindens und des Beliebens derer, die das Sagen haben oder danach streben, eines Tages selbst diejenigen zu sein, die das Sagen zu haben

Wir, Sie alle hier, Ihr Jugendlichen und natürlich auch ich verstehen das nicht und akzeptieren das auch nicht. Denn wir gehen davon aus, dass jeder Mensch, egal, ob weiß oder schwarz, alt oder jung, Mann oder Frau, schwul, lesbisch oder das Gegenteil davon, behindert oder nicht behindert, christlichen, islamischen, jüdischen oder gar keines Glaubens, ob in Arbeit oder ohne Arbeit, usw. ….dass alle diese Menschen das gleiche Recht auf Leben, auf Schutz ihres Lebens und auf Achtung ihrer Würde haben, die Menschenwürde also, die bereits im allerersten Satz unseres Grundgesetzes vorkommt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Christen und Juden nehmen die Begründung dieses Satzes aus der Bibel: „Und ER formte den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis.“ Andere Religionen leiten den Menschenwürdebegriff ebenfalls aus ihren heiligen Schriften her, und nichtreligiöse Menschen, z.B. Wissenschaftler, die über das Zusammenleben der Menschen und ihr Auskommen miteinander nachdenken, also Staatsrechtler und politische Philosophen, bezeichnen die Menschenwürde als einen dem Wesen des Menschen, seinem Geist und seiner Seele innewohnenden und nur dem Menschengeschlecht eigenen, unhintergehbaren Wert, der mit der Unverfügbarkeit, d.h. der Unantastbarkeit seines Lebens verbunden ist.

Dies alles aber ist für Rechtsextremisten eher nur ein Schmarren oder gar großer Quatsch, mindestens aber zweifelhaft, weil sie, die Rechtsextremisten, die Vorstellung haben, dass die übrigen Menschen, insbesondere dann, wenn sie, die Rechtsextremisten erst einmal die Macht über den Staat und damit über uns alle haben, so wie das vor 80 und 90 Jahren die Nazis unter Adolf Hitler getan haben, … dass sie, die selbsternannten Staatenlenker, zusammen mit der Macht, auch das Recht haben, selbst darüber zu entscheiden, wer ebenbürtig, wer gleichberechtigt und wer achtungswürdig ist. Nicht die Menschenwürde ist dann mehr das Recht aller, sondern das Recht, das sie sich zuschreiben, um zu bestimmen, was für sie, aber eben nur für sie ebenbürtig, gleichberechtigt und achtungswürdig bedeutet. Und noch mehr: Auch das Recht haben sie sich, zumindest unter Hitler und in anderen diktatorischen Systemen, zugerechnet, über Leben und Tod dieser so klassifizierten Menschen zu bestimmen. Bei den Nazis waren die Opfer dieser Willkürordnung nicht nur die Juden und die zahllosen Kriegsgefangenen, deren sie im Verlauf des zweiten Weltkriegs habhaft wurden, sondern auch Menschen mit anderen politischen, etwa dem Menschenwürdeprinzip verpflichteten Vorstellungen, es waren behinderte und schwerkranke Menschen, es waren Schwule und Lesben und Sinti und Roma, aber auch Straffällige. Sie alle galten den Nazis als Ungeziefer der menschlichen Gesellschaft, als Parasiten und als Ballastexistenzen, also einer Last, der man sich, wenn man zum Freiflug startet, am besten entledigen sollte.

Was hat das, so mag man nun fragen, mit HEUTE zu tun? Hitler ist doch vorbei und der Holocaust, also die Ermordung von mehr als 6 Millionen Juden, davon mehr als 1 Million Kinder, ist auch vorbei.

Ich sage es Euch: Wer heute sagt „Die Ausländer, die Flüchtlinge, die Hartz-IV- Empfänger, die Politiker, die Juden, die Muslime, die Kirche, die Lehrer …usw., der steht bereits im Begriff, Menschen und einzelne Menschengruppen nach seinem eigenen Gutdünken zu sortieren, sie in Gut und Schlecht, Nützlich oder Unnütz, Rechtschaffen oder Verschlagen einzuteilen und sie, das ist der nächste Schritt, ganz und gar auszugrenzen – auszugrenzen aus der ach so viel besseren Gesellschaft ihrer Facon. Dabei ist es völlig egal, ob solcher Ausgrenzung Ge-ringschätzung, Verachtung, Angst, etwa vor dem Fremden, oder Neid zugrunde liegen. Es ist die Denke der Nazis, die Denke der Menschenverachtung, der Geringschätzung und der Ausgrenzung der jeweils anderen. Aufgeblasen von sinnloser und widerlicher Angstmache, wird daraus eine wirkungsvoll inszenierte Hetzkampagne, die, so wie von Frauke Petry schon vor Jahren propagiert und erwünscht, in eine Hasswelle gegen die so Ausgegrenzten mündet. Beschimpfungen wie „Du Jude“, „Judensau“ oder „Du Behinderter“ oder „Du Blödmann“ bedeuten für mich, dass der, der sie benutzt, bereits in die menschenverachtende Falle der Nazis getappt ist, auch der Nazis von heute.

Was wir, die Alten, damals daraus gelernt haben, ist, dass alle, wirklich alle Menschen, denselben Anspruch auf Achtung ihrer Würde, ihrer Menschenwürde, haben und allemal ihres Lebensrechts. Und: Wir haben erfahren, dass uns im Alltag der Gedanke an einen sehr eingängigen und auch nahegehenden Satz nie im Stich gelassen, sondern recht verlässlich weitergeholfen hat. Er lautet: “Was Du nicht willst, das man Dir tu‘, das füg auch keinem ander’n zu“, und man nennt diesen Jahrtausende alten Satz, den es in allen menschlichen Kulturen auf die eine oder andere Weise gibt, die Goldene Regel.

Zweifellos ist darum die Menschenjagd, die sich jugendliche Rechtsextremisten in Chemnitz im vergangenen Sommer gegen andere Jugendliche geleistet haben, nur weil sie anderer Herkunft und anderer Hautfarbe, obwohl sogar im Besitz eines deutschen Passes waren, eine ungeheuerliche Untat und natürlich auch ein erschreckender und schwerer Verstoß gegen diese Regel und genauso gegen die Menschenwürde, von der soeben auch die Rede war, Denn sie, die Menschenwürde und ihre Achtung, sind, so denke ich, der Kitt und die wichtigste Spielregel unserer Gesellschaft – für alle Menschen in einem Staatswesen wie Deutschland.

Wir, die Alten, sind über solche Vorgänge ganz besonders entsetzt, weil einem sogleich einfällt, dass es damals doch genauso angefangen hat, als Hitler an die Macht gekommen war – übrigens nicht durch einen Staatsstreich, sondern mit den Stimmen der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler. Denn das Morden in den KZs und die Massenerschießungen missliebiger Menschen, vor allem der Juden hinter der Kriegsfront, waren ja nicht der Anfang der mörderischen Nazi-Herrschaft. Lange davor schon galt das Willkürprinzip seiner Schlägertrupps aus SS und SA gegen Menschen, die ihnen missliebig erschienen, eine andere Meinung oder Weltanschauung hatten, ihnen aus anderen abwegigen Gründen einfach nicht passten, von ihnen verachtet oder gering geschätzt wurden, gegen also diese Menschen nach eigenem Belieben und nach Lust und Laune vorzu-gehen. Willkür und Unverstand, die damit einhergingen, waren zum Gesetz der Straße geworden, zum Handlungsprinzip der Herrenmenschen von Hitlers Gnaden

Wer kann uns, den Älteren in diesem Land, da verdenken, dass unser Schrecken und unsere Sorge über solche Nachrichten groß ist, und die Angst vor der Wiederkehr dieser „alten Zeiten“ ebenfalls? Und ebenso aufgeregt und besorgt sind wir darum natürlich auch, wenn wir hören, zu verstehen und uns vorzustellen versuchen, was sich die Rechten im politischen Spektrum, die Extremen und die Populisten als Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme vorstellen. Ihre Rezepte sind Ausgrenzung, Aussperrung und/oder Entsorgung, d.h. Ertrinkenlassen im Mittelmeer oder der finale Schuss bei der Grenzüberwindung – Menschenwürde hin oder her. Da zählen allein noch und nur die Ellenbogen, mit denen die eigenen Interessen vertreten und durchgesetzt werden.

Und das ist dann auch, diese Antwort bin ich noch schuldig geblieben, was Nazis, Neonazis und Rechtsextreme denken und wollen. Es ist die reine Lehre des Faschismus. Sie lautet so wie das Wort, das mit „Menschen“ beginnt und mit „Verachtung“ endet, und im Leben und im Alltag dieses bedeutet: Wir, die Herrenmenschen, sind zuerst dran!

Dazu sage ich Nein. Wir alle müssen dazu Nein sagen. Aber auch das müssen wir sagen und uns vornehmen: Wehret den Anfängen solcher Gesinnung und ihrer Taten, und: Leisten wir Widerstand – wir alle! Euch, die jungen, einsichtigen und besonnenen Menschen in unserem Land brauchen wir dazu, Euch alle!

Denn Ihr seid heute die Jugend und morgen die Zukunft der Gesellschaft, einer Gesellschaft in Deutschland, die wehrhaft und entschlossen und vor allem mit den besseren Argumenten den Schreihälsen, den Rattenfängern und den Brun-nenvergiftern aus den Reihen der unbelehrbaren faschistoiden Rechtenbewe-gung – gleich welchen Namens – entgegentreten kann und entgegentreten muss.-

Der Friedrich-Ebert-Stiftung sei Dank für die Idee, das Thema Rechtsextremismus, mit dem Rassismus und Antisemitismus auch heute ununterscheidbar und unzertrennlich verbunden sind, zum Gegenstand dieser vorzüglichen Ausstellung gemacht zu haben. Der Marienschule sage ich persönlich, vor allem aber im Namen das Forums Juden-Christen im Altkreis Lingen, Dank für ihre Solidarität und ihr Mittun im aktiven Widerstand gegen die neue, aber eigentlich altbekannte Volksseuche, und der, wie ich finde, sehr gelungenen und aufrüttelnden Ausstellung wünsche ich viele interessierte und am Ende auch nach-denkliche Besucher.

Vielen Dank für’s artige Zuhören, vielen Dank für Ihre freundliche Geduld!

Lesenswert auch der Bericht von Johannes Franke in der Lingener Tagespost:+

https://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/1762683/ausstellung-des-landesbueros-niedersachsen-der-friedrich-ebert-stiftung?amp