Guten Abend Ihnen allen, die dem Aufruf zu der Mahnwache heute, von Meike Behm und Robert Koop, nicht ganz ohne Beteiligung des Forum Juden-Christen, initiiert und geplant, hier auf dem Marktplatz zu Lingen gefolgt sind. Mit Ihnen allen haben wir uns zu dieser Mahnwache versammelt, die wir, ihre Initiatoren, unter das Motto gestellt haben:

Lingen: Gemeinsam gegen Hass, gegen Hetze gegen Rassismus!“Unser Dankes- und Willkommensgruß gilt des Weiteren Herrn Oberbür-ger­meister Krone, den Vertretern des Rats, den Kirchen, der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, der Sultan-Ahmed-Moschee-Gemeinde Nordhorn, dem Kurdischen Kulturverein Lingen, dem DGB, der AWO, den im Rat der Stadt Lingen vertre­tenen demokratischen Parteien, der Friedensgebetsgruppe der Kreuzkirche, dem Forum Juden-Christen im Altkreis Lingen, der Klimagruppe Emsland, der Kunsthalle und der Kunstschule Lingen, dem TPZ, Arts by children, dem DB Lingen, dem Lingener Anwaltsverein, der Caritas, dem SKF und SKM, dem Verein Frauen helfen Frauen, dem Internationalen Kulturverein von Frauen für Frauen, dem Gleichstellungsbüro der Stadt Lingen, dem LWH, dem Kulturfo­rum St. Michael und dem Meppener Kunstkreis.

Aber damit nicht genug:

Hier vorne sind außer meiner Wenigkeit aber auch noch der Herr Oberbür-ger­meister Dieter Krone, die Ideen- und Impulsgeberin unserer heutigen Mahn-wa­che, die Direktorin der Kunsthalle, Meike Behm, Frau Tiesmeyer vom DGB Emsland, und, worüber wir besonders glücklich sind, die stellvertretende Schul-sprecherin des Gymnasiums Georgianum, Marie Beenken, um ebenfalls heute Abend zu Ihnen zu sprechen, wenn auch in etwas anderer Reihenfolge.

Und sprechen zu uns werden auch, und haben auch schon auf ganz besonders ei­gene, ein- und ausdrucksvolle Weise zu uns gesprochen Zain Landozz and Fri­ends, soeben mit Biassi sowie Tobias Bako und seine Musikgruppe mit Rock-in‘ in the Free World und am Ende noch mit Imagine – und das alles ohne die Er­wartung eines Honorars.

Am Anfang steht der Angriff gegen die Menschlichkeit. Ihm folgt alsbald der Angriff gegen die Menschen.“ Gerade so hat es soeben die Bundestagsvize-prä­sidentin Claudia Roth zutreffend formuliert. Ich darf hinzufügen: Noch vor dem Angriff [aber] steht der Hass.

Beinahe jede Woche hören wir die Ermahnungen des Bundespräsidenten zur Gleichgültigkeit in der Sprache, zu Abschätzigkeit und zur ihrer Verrohung, mittels der der gebotene Respekt vor dem Anderen immer weiter unter die Räder gerät. Immer spürbarer – NEIN: immer bedrückender werden und wirken die Zeichen, Formeln und Akte der Menschenverachtung, die jedem von uns in sei-nem Alltag und in seinem Leben, gar nicht nur immerfort in den diversen In­ter-netforen, begegnen.

Menschenverachtung, die Projektion eigener Wahrnehmung von Unzulänglich-keit, Unzufriedenheit, Minderwertigkeit und Geringschätzung – die Projektion solcher Wahrnehmungen ist zum gesellschaftlichen Gebrauchsgegenstand, zur willkürlichen Waffe gegen die Anderen geworden bzw. das Feindbild, das man sich von ihnen gemacht hat.

Die Vorstellung, dass das, was wir zuletzt in Halle und jetzt schon wieder in Ha­nau erlebt haben, das Werk von Irren oder kranken Menschen und ent­spre-chend einzuschätzen sei, ist nicht einmal halb richtig. Denn: Auch der auf diese Weise kranke Mensch nimmt seine Wahnbilder aus dem Leben dieser Ge­sellschaft: aus ihrem Reden, aus ihrem Handeln und aus ihren Aggressionen, auch den verbalen.

Ausgrenzung, die daraus folgt, gerät so zum Instrument der Selbstbefreiung von Unmut, Unzulänglichkeit, Selbstzweifeln oder gar Verdruss. Sie wird befeuert von den absurden Parolen von der Minderwertigkeit des Anderen, auch wenn er gar nicht anders ist, als ein Mensch anders sein kann. Aber mit dem Label des Fremden, des Migranten, der anderen Hautfarbe, Religion oder Lebensart lässt sich das Bild des Sündenbocks, des Feinds einer völkischen Gemeinschaft und ihrer „Schwarzen Schafe“ leicht bewerkstelligen – sogar auf bewährte Weise, wie wir aus der Geschichte des Nationalsozialismus und seiner millionenfachen Mordmaschinerie wissen. Es ist die immer weiter falsche Lehre von der Rasse, vor allem der minderen und mindewertigen Rasse, die missliebigen Menschen kurzerhand zugeschrieben wird, sie aus dem Schutz ihrer eigentlich doch unver-äußerlichen Menschenwürde entlässt und zum Freiwild erklärt. Zuletzt waren zehn in Deutschland geborene Bürger der Bundesrepublik aus Hanau die Opfer dieser kruden Ideologie. Die Opfer trugen die folgenden Namen:

Ferhat Ünver, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Ham­za Kurtovic, Kalojan Velcov, Vili Viorel Paún, Said Nesar Hashemi, Fatih Saracóglu – auch die Mutter des Attentäters zählt zu den Opfern und er selbst wurde am Ende sein eigenes Opfer.

Lassen Sie uns ihrer aller bitte während einer kleinen Weile der Stille gedenken! ——— Ich danke Ihnen!

Heute fragen wir uns einmal mehr: Warum? Warum musste das alles so geschehen, wieder geschehen und warum geschieht es immer weiter? Warum ei­gentlich?

Nun, weil auch wir, die Kinder und Enkel der Hitlergeneration alles andere als fertig sind mit diesem Gift oder gar immun dagegen, dem Gift des Hasses, des Rassenhasses, von dem auch Angela Merkel zutreffend, wie ich finde, so ge-sprochen hat. Es sind die alten Muster, die zu beleuchten, zu brandmarken und aus unserer Gesellschaft zu bannen eine in diesem Land bis heute unerledigte Aufgabe ist – sogar in den Schulbüchern der Kinder, wie soeben ein kundiger Soziologieforscher erklärt hat. Die verquasten Reden aus Höckes Flügel oder anderen, ähnlich gestrickten Zirkeln verdeutlichen nur, wie sehr doch zutrifft, was vor 70 Jahren Berthold Brecht im Arturo Ui aufgeschrieben hat: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“.

Ja, ich bekenne mich daran schuldig. Wir alle sind schuldig – da und solange wir es dabei einfach belassen haben, wenn wir nicht unseren Mut und unseren Ver­stand zusammengenommen haben, um dagegen aufzustehen – aufzustehen ge­gen den Ungeist der Menschenverachtung, das eherne Gesetz der Faschisten.

Ich bitte Sie: Lassen Sie uns einander an die Hand nehmen und uns stark machen und zusammen und einmütig Nein sagen, wenn diese Rattenfänger mit ihrem uralten Gift unsere Gesellschaft durchqueren, damit wir ihr verhängnis­volles und inzwischen viel zu weit gediehenes Werk der Spaltung der Gesellschaft endlich aufhalten und beenden. Lassen Sie uns aufbrechen zu einer Gesellschaft, die den historischen und epochalen Veränderungen Rechnung trägt, und deren Sinnmitte ihre Buntheit ist.-

Ich verneige mich, wir alle verneigen uns vor den Toten von Hanau. Die Auslö­schung ihrer Leben und das fortdauernde Wissen darum ist von nun an ein Stück unserer eigenen, unser aller gesellschaftlichen Verantwortung. – Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Geduld!