Über ein wenig bekanntes Verbrechen in der Nazi-Zeit berichtete Dr. habil Ingo Harms (Oldenburg) im gut besuchten Vortragsraum des Bonifatius-Krankenhauses. Eingeladen hatte das Forum Juden-Christen gemeinsam mit dem Ethikkomitee des Krankenhauses.
In der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen nahe Oldenburg (heute Karl-Jaspers-Klinik) und anderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung im kleinen Freistaat Oldenburg, bereits seit 1932 in der Hand der Nazis, wurden von 1936 bis 1946 mindestens 1500 Patienten durch Nahrungsentzug ermordet. Verantwortlich dafür waren Ärzte, die zwischen „lebenswerten“ und „lebensunwerten“ Patienten selektierten.
Harms wurde mit einer historischen Arbeit zu den Hungermorden promoviert. Seiner große Betroffenheit auslösenden Darstellung zufolge stellte der von Hitler im Oktober 1939 angeordnete Behindertenmord („Aktion T4“ nach der Berliner Tiergartenstraße 4) einen Versuch dar, die „wilden“ Hungermorde in „geregelte Bahnen“ zu lenken.
Vergasung und Verbrennung in der Aktion T4 von etwa 80.000 Menschen – Probelauf für den Holocaust – konnte nicht geheim bleiben, und so sorgte der Münsteraner Bischof Clemens von Galen mit seinen Predigten gegen die verharmlosend „Euthanasie“ genannten Massenmorde für deren scheinbares Ende. Mit der anschließenden geheimen Fortsetzung der Hungermorde wurden im Herrschaftsgebiet der Nazis insgesamt etwa 300.000 Menschen ermordet.
Ein Motiv für die Morde in Oldenburg war die Erzielung von Gewinn für den Landesfürsorgeverband Oldenburg, der mit erheblichen finanziellen Zuschüssen zum Museumsdorf Cloppenburg beitrug und den finanziellen Grundstock der heutigen EWE und legte. Harms: „ Der Landesfürsorgeverband, heute Bezirksverband Oldenburg, hat sich zu den Hungermorden nie bekannt, geschweige denn sich bei den Opfern entschuldigt. Für die Aufklärung der Geschehnisse, die nicht zuletzt zu einer Bereicherung seines Vermögens um Millionen Reichsmark geführt haben, hat er sich bisher nicht eingesetzt.“
Auf Nachfragen aus dem Publikum berichtete Harms, dass der Nahrungsentzug für Menschen mit Behinderung nicht mit der Naziherrschaft endete.

Simon Göhler (re) und Dr. Walter Höltermann (li) danken Ingo Harms mit einem Schalomstein von Josef Möddel.