Bernard Süskind
Bernard Süskind, gebürtiger Fürstenauer Jude erzählt aus seiner alten Heimat:
Um 1938 lebten 10 jüdische Familie (52) Personen in Fürstenau. Sie liebten Deutschland und ihre Heimatstadt Fürstenau. Die meisten Männer waren Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg. Sie waren gesetzestreue Bürger.
Sie waren Viehhändler, Pferdehändler, Rohprodukthändler. In Fürstenau gab es ein jüdisches Antiquitätengeschäft, ein Fleisch- und Wurstwarengeschäft. Ihre Kunden waren die Landwirte von Fürstenau und Umgebung. Die jüdischen Händler waren ehrlich und hatten einen guten Ruf unter den Landwirten, mit denen sie Geschäfte seit Generationen machten.
Alle jüdischen Familien wohnten in der Mitte der Stadt und die meisten hatten eigene Wohnungen. Sie wohnten zwischen christlichen Nachbarn und hatten ein gutes und freundliches Verhältnis.
Die Juden waren fromme Menschen und nahmen ihre Religion sehr ernst.
Freitagabend und Sonnabend ging man zum Beten in den Gebetsraum, es wurde nicht gearbeitet, und die Geschäfte waren geschlossen.
Sie waren nicht reich und nicht arm, sie waren einfache Menschen die schwer arbeiteten um ihren Kopf über Wasser zu halten. Alles war für die Familie und um den Kindern eine bessere Zukunft geben zu können.
Es waren schwere Zeiten, nur 12 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, für alle Fürstenauer, ob Christen oder Juden.
Wir Kinder gingen zur evangelischen Volksschule oder einige zur höheren Stadtschule.
Die jüngeren Männer spielten Fußball in christlichen Sportvereinen .
Die jüdischen Familien beteiligen sich an allen städtischen Veranstaltungen, wie Schützenfeste, Kirmes, Hochzeit und mehr. Es war ein schönes gemütliches Leben für alle.
In 1933, nach der Machtübernahme der Regierung durch Adolf Hitler, verschlechterte sich das Leben der Juden von Jahr zu Jahr und von Tag zu Tag. Die SA übernahm das Rathaus, setzte den gewählten Bürgermeister Bernard Haverkamp ab und setzte einen nationalsozialistischen Bürgermeister ein.
Ein paar Sonnabende später marschierte die SA gegenüber vom Frank`s Haus am Bahnhof auf. Während wir unseren Gottesdienst hielten, sangen sie die ganze Zeit Hasslieder bis spät in den Nachmittag hinein. Wir waren alle sehr aufgeregt und konnten erst gegen Abend nach Hause gehen.
Danach boykottierte die SA alle jüdischen Händler und Geschäfte und behinderte sie, Geschäfte mit Landwirten zu machen. Die Landwirte, die trotzdem noch mit den Juden handelten, wurden von der SA mit großen Nachteilen bedroht, so wie den Ausschluss aus der Kreisbauernschaft, Sperrung von Kindergeld usw.. Die Namen der Landwirte wurden im Bekanntmachungskasten am Rathaus ausgestellt.
Es dauerte nicht lange bis niemand mehr in der Lage war Geschäfte zu machen. Die jüdischen Familien lebten von ihren Ersparnissen und verkauften ihre Wertsachen.
Jeden Tag kamen neue Verordnungen, welche die bürgerlichen Rechte der Juden beschränkten. Man konnte nicht in den Bürgerpark gehen, nicht mehr ins Kino, in keine Gaststätte. Alle Kontakt mit christlichen Menschen war verboten.
Zwischen 1935 und 1938 verließen die meisten jungen jüdischen Menschen Fürstenau und gingen in Länder wo man ein Visum bekommen konnte. Sie gingen nach Südafrika, Argentinien, Kolumbien, Mexiko und in die Vereinigten Staaten.
Danach kam die sogenannte „Kristallnacht“ am 10. November 1938 und das war der Anfang vom Ende für die Juden, auch in Fürstenau.
An diesem Tag wurden alle männlichen Juden verhaftet und unten im Rathaus eingesperrt. Gegen Mittag wurden sie in einen Lieferwagen geladen und nach Quakenbrück ins Kreisgefängnis gebracht. Am nächsten Tag wurden sie in die Hände der geheimen Staatspolizei übergeben und über Osnabrück in das Konzentrationslager eingeliefert.
Die hiesige in Fürstenau erscheinende Zeitung schrieb am 11. November 1938 unter der Überschrift: „Stadt Fürstenau – Juden raus!“:
„Auch in Fürstenau kam es gestern zu Entrüstungsausbrüchen der Bevölkerung gegen die Mördersippschaft des Weltjudentums. Sämtliche männliche Juden mussten in Schutzhaft genommen werden, um sie vor etwaigen Übergriffen der Bevölkerung zu bewahren. Es konnte jedoch nicht verhindert werden, dass der Versammlungsraum der Juden in Fürstenau mit heftigen Angriffen bedacht wurde.“
Das dem Juden F. gehörende Haus in der Nähe des Bahnhofs mit dem im obersten Stockwerk liegenden Versammlungsraum wurde ausgeräumt und ausgeräuchert.
In den Jahren 1938 und 1939 mussten die die Juden ihre Häuser weit unter ihrem Wert verkaufen. Alle Sachen wurden aus den Häusern herausgeholt und öffentlich versteigert. Die jüdischen Familien wurden dann alle in Frank`s Haus am Bahnhof untergebracht und später von dort in ein Haus an der „Schwedenstraße / Ecke An den Schanzen gebracht.“ Dieses Haus war ein umgebauter Pferdestall, die so genannte „Judenburg. Sie waren Gefangene in ihrer Stadt und von unabhängigen Bürgern wurden sie zu Bettlern, angewiesen auf das was die Stadt ihnen gab.
Ende Dezember 1941 wurden die jüngeren abgeholt, wieder eine herzlose Trennung für Frau und Herrn Frank. Die letzte und jüngste Tochter Rosa wird ihnen weggenommen. Alle wurden nach Osnabrück gebracht und von dort mit dem „Bielefelder Transport“ nach Riga, Lettland und später nach Auschwitz in den Tod geschickt.
Die alten Juden wurden in einem Haus in Alfhausen untergebracht, zusammen mit allen Alten des Kreises und später weiter nach Theresienstadt. Diejenigen, die das überlebten, gingen auch nach Auschwitz in den Tod.
Klarchen Stern überlebte und wird auf dem Todesmarsch von Russen befreit und ging über Schweden nach Argentinien zu ihren Eltern. Ernst Hamburger überlebte und kam zurück nach Fürstenau.
18 Fürstenauer Juden fanden den Tod.
Der berüchtigte Dr. Joseph Goebbels, Reichspropagandaminister des Dritten Reichs sagte in einer Rede kurz nach der Machtübernahme folgendes: „Wir werden unsere deutschen Juden behandeln wie eine Blume, der wir kein Wasser geben.“
Dieses geschah in Fürstenau. Eine blühende Gemeinde ging zu Ende.
Alles was hier geschah kann man nicht vergessen und nicht vergeben.
Wir können aber davon lernen, damit so etwas nie wieder geschehen wird und dass alle Menschen tolerant sind anderen gegenüber, egal welcher Hautfarbe oder Religion sie besitzen.
Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, aber doch die Gegenwart und die Zukunft
Bernard Süskind