Lingen. Der erste Lehrhausabend des Forums Juden-Christen Altkreis Lingen in der neuen Saison fand in Kooperation mit dem Internationalen Kulturverein von Frauen für Frauen statt. Im vollbesetzten Vortragssaal des Emslandmuseums begrüßten Christel Grunewaldt-Rohde für den Kulturverein und Simon Göhler für das Forum Prof. Dr. Eva-Maria Thüne. Die Professorin der Universität Bologna stellte Ergebnisse von Interviews vor, die sie mit „Kindern“ in Großbritannien geführt hatte.


„Kinder“ nennen sich bis heute Überlebende des Naziterrors, die durch „Kindertransporte“ der Ermordung entgehen konnten. Die Novemberpogrome von 1938 öffneten der Weltöffentlichkeit die Augen dafür, dass die Nazis ihre Planungen zur Vernichtung der Juden in die Tat umsetzten. So veranlassten jüdische Gemeinden in Großbritannien, unterstützt von den christlichen Quäkern gegenüber ihrer Regierung die Einreise jüdischer Kinder. Innerhalb weniger Wochen konnten jüdische Organisationen in Deutschland die ersten Ausreisen von Kindern zwischen 2 und 17 Jahren organisieren. Die Nazis stimmten zu, weil sie sich die Zunahme von Antisemitismus in England erhofften.


Eva- Maria Thüne ging auf bewegende Erinnerungen von „Kindern“ ein. Als Sprachwissenschaftlerin interessierte sie insbesondere der Spracherwerb der „Kinder“. Während Kleinkinder Englisch gleichsam als Erstsprache lernten, war es für Ältere wie etwa Bernhard Grünberg schwer, die neue Sprache zu erlernen. Heimlich sprachen viele „Kinder“ untereinander weiter deutsch, das aber viele Geflohene im Laufe ihres Lebens verlernten. Die Referentin berichtete von einem Fall, in dem ein „Kind“ in hohem Alter deutsch lernte, um die verwahrten Briefe seiner ermordeten Eltern lesen zu können.
Auf Nachfrage aus dem Publikum berichtet die Autorin eines Buches zum Thema über die Schwierigkeiten, Kontakt zu ihren Interviewpartnern zu bekommen.

Nach langanhaltendem Applaus dankte das Forum der Vortragenden mit einem Schalomstein von Josef Möddel und einem Buch über die Geschichte des Forums. Simon Göhler wies darauf hin, dass auch der spätere Ehrenbürger Bernhard Grünberg aus Lingen durch einen Kindertransport gerettet wurde.
Christel Grunewaldt-Rohde, die wie Göhler dem Leiter des Emslandmuseums, Dr. Christof Spannhoff, für die Gastfreundschaft dankte, kündigte an, dass Prof. Thüne im nächsten Jahr wiederum in Lingen vortragen werde.


BU: Simon Göhler, Eva-Maria Thüne, Angela Prenger, Stv. Vorsitzende Forum, Renuka Vivakananthan, Stv. Vorsitzende Kulturverein Frauen für Frauen, Christel Grunewaldt-Rohde. Foto: Friedhelm Wolski-Prenger
Das Buch: Eva-Maria Tüne: Gerettet. Berichte von Kindertransport und Auswanderung nach Großbritannien, Berlin/ Leipzig, Hentrich und Hentrich, 2019, € 24,90