Der Lingener Ehrenbürger und unermüdlicher Zeitzeuge für die Naziverbrechen gegen Juden und andere, Bernhard Grünberg (1923 – 2021), starb am 16. Januar 2021 in seiner Heimatstadt Derby. Erst am 8. April 2021 konnte er, seinem Wunsch gemäß, auf dem Jüdischen Friedhof in Lingen beerdigt werden. Der Gedenkstein für seine ermordeten Eltern und seine ermordete Schwester wurde auch zu seinem Grabstein.
vl. Baruch Chauskin, Shimi Lang, Rafael Tschernjawski, Michael Grünberg, Werner Hartke, Walter Höltermann. Fotos:fwp
Aus der Osnabrücker Jüdischen Gemeinde kam jetzt anlässlich des Jahrestages der Beisetzung ein Minjan, die für einen jüdischen Gottesdienst erforderlichen zehn Personen, zum Kaddisch-Gebet am Grab Grünbergs. Zum Minjan gehörte Rafael Tschernjawski, mit 14 Jahren so alt wie Bernhard Grünberg war, als er 1937 das Gymnasium verlassen musste. Pünktlich zu der mittäglichen Gedenkfeier am Donnerstag, die das Forum Juden-Christen angeregt hatte, rissen über dem Jüdischen Friedhof die Regenwolken auf und die Sonne brach durch.
Der stellvertretende Bürgermeister Lingens, Werner Hartke, dankte den zahlreichen Menschen, die sich zu Ehren Grünbergs eingefunden hatten. Hartke erinnerte daran, dass Bernhard Grünberg der Stadt Lingen 1986 die Hand gereicht habe. „Wie schon sein Tod, so soll uns nun sein Grab und dieser Gedenk- und Grabstein Mahnung sein, uns auch in Zukunft aktiv gegen Antisemitismus, Rassenwahn und Fremdenfeindlichkeit einzusetzen.“
Rabbiner Shimi Lang stellte mit einem Gleichnis einen Bezug zwischen Bernhard Grünbergs Geburtstag und dem bevorstehenden Pessach-Fest her. „Bei einer Sederfeier am Pessach-Vorababend stellt traditionell das jüngste Kind vier Fragen. Im Buch ‚Der letzte Seder‘ stellt das Kind im Konzentrationslager eine eigene, fünfte Frage: ‚Werde ich im nächsten Jahr wieder Seder erleben? Wirst du im nächsten Jahr Seder erleben?‘ Der Vater antwortet: ‚Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass irgendwo auf der Welt Seder gefeiert werden wird. Es geht weiter‘. So gilt auch für Bernhard Grünberg: er machte immer weiter – trotz vieler Krisen. ‚Weitermachen‘ – ein Prinzip im Leben von Bernhard Grünberg.“
Baruch Chauskin reziert Psalmen. Vor- und nach der Gedenkfeier Sturm und Regen, bei der Feier Windstille und Sonnenschein
Der Kantor der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, Baruch Chauskin, rezitierte in hebräischer Sprache aus dem Psalm 119: „Das ist mir Trost in meiner Betrübnis, dass mir Leben spendet dein Wort.“ Die Thora ist weitgehend das Erste Testament der Christen. Das Kaddisch betete gemeinsam mit dem Minjan der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, Michael Grünberg, einem entfernten Verwandten von Bernhard Grünberg.
Für das Forum Juden-Christen sprach zuvor Dr. Walter Höltermann „Erinnerung wird nur dann zu einer Kultur der Erinnerung, wenn sie an das Derzeitige anknüpft und in die Zukunft schaut. Angela Prenger und Friedhelm Wolski-Prenger haben dem Leben von Bernhard Grünberg nachgespürt und darüber ein Buch geschrieben. Darin findet sich deutlich, wie sehr Bernhard Grünberg nach 1933 an der Ausgrenzung seiner Mitschüler gelitten hat.“ Höltermann weiter: „Die Nationalsozialisten begannen die Ermordung der Juden in Deutschland und in Europa mit Ausgrenzung. Sie wollten erfahren, was sie dem deutschen Volk zumuten können. Danach haben sie die Maßnahmen Zug um Zug verschärft, bis hin zu Auschwitz. Diesen Geschehnissen begegnen wir hier auf diesem Friedhof auf Schritt und Tritt, und diese begleiten uns auch in dieser Mittagsstunde, in der wir des Todes von Bernhard Grünberg gedenken.“