Forum Judentum Christentum

2016

15. November 2016 Lehrhausgespräch „Wie gut sind wir gerüstet für eine multireligiöse Gesellschaft”

27 Dienstag Dez 2016

Posted by forumjc in 2016, Archiv

Beim Lehrhausabend am 15. November 2016 sprach Prof. Dr. Michael Heinig von der Universität Göttingen zum oben genannten Thema. Für die interessierte Öffentlichkeit wird hier ein Bericht über die Veranstaltung veröffentlicht.

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„Wir sind sehr froh und auch ein wenig stolz, dass Professor Dr. Hans-Michael Heinig heute Abend zum dritten Lehrhausgespräch in der diesjährigen Reihe zu uns gekommen ist“, sagte der Vorsitzende des Forums Juden-Christen, Dr. Heribert Lange. Der Ordinarius für öffentliches Recht und zugleich Direktor für Kirchenrecht der evangelischen Kirche Deutschlands, ebenfalls an der Göttinger Uni, sei gerne in seine ehemalige Heimatstadt gekommen. Kompetenz, reichliche Diskurserfahrung im interreligiösen Dialog sowie Erfahrung in der politischen und juristischen Debatte um die Stellung von Religion und Kirchen im Staate, zeichneten den Referenten während des 90-minütigen Lehrhausgespräches aus. In seinen Begrüßungsworten konstatierte der. Lange: „Die Brisanz der aktuellen Debatte hat ihren Grund indessen aber noch in einem weiteren Aspekt oder, wenn Sie so wollen, Problem. Dass nämlich mit der bisher öffentlich nicht so recht, zumindest nicht problematisch wahrgenommenen, nun aber mit aller Macht der in der Öffentlichkeit präsenten Religion des Islam und der zahlreichen Muslime unter den Geflüchteten aus dem Nahen Osten auch eine erst einmal fremd anmutende Kultur zu uns kommt, die über den rein religiösen Aspekt einer Integrationsaufgabe hinaus, so dies bei einer Religion überhaupt geht, auch mit der Frage der gesellschaftlichen Integration sowie der Frage einer multikulturellen Gesellschaft und Gesellschaftskultur verbunden ist, und vermutlich verbunden werden muss.“ Auf die Eingangsfragen: „Wieviel Mulitreligiösität vertragen Staat und Gesellschaft? Wie sehr und wie bald droht unserer Gesellschaft die Islamisierung? Gibt es eine friedensstiftende Kraft und Funktion der Religionen? Wie friedlich und respektvoll können Religionen miteinander umgehen? Gibt es eine friedliche Koexistenz? Oder ganz säkular und knapp: Demokratie und Menschrechte.“ Auf diese Fragen und das vorangestellte Thema gab Professor Heinig plausible Antworten. Deutlich wurde dabei das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht, vor allem den Grundrechten laut unserer Verfassung, und der gefühlten, verinnerlichten Wahrnehmung und Meinung der Zuhörer, die eine persönliche Diskrepanz zwischen Recht und Standpunkt darlegten. Das Grundgesetz, vor allem Artikel 4 und weitere Religionsartikel seien verbriefte Garantien für die Religionsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Fülle von Bestimmungen ließen sich auf die Weimarer Reichsverfassung von 1919 zurückführen und seien durch den Parlamentarischen Rat ins Grundgesetz importiert worden, so Heinig. So zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften, Verwaltungsordnungen, Religionsfreiheit, öffentlich-rechtliche Rechtsformen, Körperschaften des öffentlichen Rechts, Besteuerungsrecht, Anstaltsseelsorge, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, Sonn- und Feiertagsregelungen und anderes mehr. Heinig verwies auf das Konkordat, Verträge der evangelischen Landeskirchen oder mit kleineren Religionsgemeinschaften, zum Bespiele mit jüdischen Verbänden oder an erste Annäherungen seitens der Muslime. „Recht, so wie es im Gesetz steht, und wie es uns im sozialen Alltag erscheint, sind zweierlei. Heinig sprach vom „Recht in Büchern und dem Recht in Aktion“, und erläuterte das Spannungsverhältnis an Beispielen. Das Recht bedürfe einer Interpretation, denn Recht sei immer eingebettet in eine kulturelle Praxis, die sehr verschieden sein könne. Der Normwortlaut könne in einer anderen Gesellschaft anders gedeutet werden. Das Recht habe einen Selbststand, führe aber in einem sozialen Wandel dazu, dass es aufbereitet werden müsse. Die Frage: „Wie gut sind wir heute eigentlich gerüstet?“, müsse die gesellschaftlichen Verhältnisse beleuchten, und auf sie müsse auch zurückgeblickt werden. „Wie ist es eigentlich dazu gekommen, wo wir heute stehen? Wie hat das Recht den sozialen Wandel der letzten Zeit verarbeitet?“. Diese und weitere Fragen erläuterte der Referent und betonte: „Ein Großteil unseres heutigen Religionsverfassungsrechts startete bereits 1919.“ Finanzierungsinstrumente wurden für alle Religionsgemeinschaften beibehalten und auch der heutige „religiöse Pluralismus“ hatte bereits 1919 Bestand. Es sei ein Glücksfall, „dass wir altes Recht haben, nicht veraltetes, sondern bewährtes aus der Zeit von 1919“, so Heinig. Auch der Religionsunterricht an öffentlichen Schule gehöre dazu. Während des aufkeimenden Ost-West-Konflikts richtete man sich gegen jede Form des Totalitarismus, Faschismus, Kommunismus, Stalinismus, um den Ausdruck vom „säkularen Weltbild“ als Bedrohung des Christentums zu begegnen. In der Bayrischen Landesverfassung von 1949 wurden christliche Werte ausdrücklich aufgenommen und der Kirche eine besondere Rolle, zum Bespiele im Erziehungswesen und im Wohlfahrtsstaat zugewiesen. Das Christentum verweise auf das „friedliche Zusammenleben“, und in der Präambel des Grundgesetzes stehe „vor Gott und den Menschen“. Auch das EU-Recht übernahm die Religionsfreiheit. „Aus heutiger Sicht heraus fast ein Glücksfall“, so Heinig. Beide Kirchen waren nach 1945 „relativ eigenständige Größen, Institutionen geblieben“, die 95 Prozent der Bevölkerung vertraten. Staat und Kirchen standen sich als „Hoffnungsmächte auf Augenhöhe“ gegenüber. Die Kirchen waren souverän, so wie der Staat. Sie mussten sich durch Verträge koordinieren, die nicht zu Lasten der Kirchen ausfielen. Die „Religionsfreundlichkeit“ sehe man an den „einfach gesetzlichen Regelungen, über die wir bis heute reden und die uns bis heute prägen“, so Heinig. Religion sei etwas höchst persönlich Individuelles. Es entwickelte sich eine deutliche Pluralisierung, Kirchenaustritte vermehrten sich, „mit Religion kann ich nichts anfangen“, passe in ein sich säkularisierendes Weltbild. Polarisierungen veränderten das Recht, die Interpretationen, die Rechtswahrnehmungen und Selbstdeutungen. „Kirche unter dem Grundgesetz“ sagt aus, dass die Kirchen unter dem Grundgesetz stehen, sozusagen subordiniert sind, sich nicht mehr auf gleicher Augenhöhe befänden. Ein gerne herangezogenes Zitat des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde lautet: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Weiter führt er aus: „Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“. Heinig dazu: „Die freie Ordnung müsse vom Bürger getragen werden. Das könne aber der säkulare Staat nicht garantieren, nicht schaffen.“ Neu gerahmt worden seien die Verhältnisse ab den 2000er Jahren, da sich die Verhältnisse seit den 1960er Jahren noch einmal verändert hätten. Heinig verwies auf die SPD-Politik, die Entchristlichung im Osten Deutschlands, auf Großstädte, in denen Christen Minderheiten seien, Migrationsbewegungen, eine deutliche Pluralisierung sei zu verzeichnen und Muslime seien seit der Flüchtlingskrise hinzugekommen. Böckenfördes Diktum sei bei aller religiösen Homogenität in den 1960er Jahren passend gewesen. Heute hätten wir auch durch und innerhalb des Islam sehr heterogene Strömungen, die sehr facettenreich seien. Zu einigen gebe es ein entspanntes Verhältnis. Aber die Praxis zu islamisch geprägten Staaten oder Salafisten zeige heute ein anderes Bild. „Wie gehen wir damit jetzt um, ab den 1990er Jahren“, fragte Heinig. Er rede heute nicht mehr so gerne vom „Staatskirchenrecht“, sondern vom „Religionsverfassungsrecht“. Eine Rechtsordnung, die für alle Religionen gelte, und die in der Verfassung ihre Wurzeln habe. Man sein mitten drin in „Deutungskämpfen, Deutungskonflikten, und unter dem Eindruck des Islam müssten wir eigentlich zwischen guten und schlechten, bzw. verfassungsnäheren und verfassungsferneren Religionen unterscheiden.“ Das „Hierarchisierungsmodell“ sei nach Heinig wenig zielführend. „Obwohl das Grundgesetz gleichen Zugang gewährt“, so Heinig. Muslime erhielten zwar Religionsfreiheit, aber irgendwie gehören sie nicht dazu, seien Bürger zweiter Klasse. „Hier zeigt sich schon die ganze Problematik, über die kräftig zu streiten ist“, so Heinig. Hinter das friedliche Zusammenleben, Gleichberechtigung aller Bürger, gleiche Rechte und Freiheiten, Unabhängigkeit von ihrer Religion (…), „da kommen wir nie wieder hinter zurück.“ Steigt mit der Pluralität das Konfliktpotential und müsse man nicht die Religion aus dem öffentlichen Raum stärker verdrängen? Dieses „Neutralitätsverständnis“ finden man zum Beispiel bei der Partei „Die Linke“ oder bei „Bündnis90/Die Grünen“ wieder. Ist Religion per se nur konfliktfördern und/oder gefährlich? Hier käme man schnell ins Fahrwasser eines weltanschaulichen Säkularismus. Doch das sei nicht das, was das Grundgesetz postuliere. Die Religionsordnungen können wir aber differenzierter ausgestalten und uns auf „Suchbewegung“ begeben, so Heinig. Der Staat, zum Beispiel die Debatten im Bundestag, lasse religiöse Argumente bei verschiedenen Themen in öffentlicher Auseinandersetzung zu. „Das ist unsere deutsche Tradition.“ Es gebe mittlerweile Auseinandersetzungen, Rechtsprechung um religiöse Symbole, zum Beispiel um das Kopftuchtragen in der Schule. Heinig: „Es kommt darauf an, was im Kopf ist und nicht darauf, was [die Schülerin] auf dem Kopf trägt.“ Trotzdem sei die darum geführte Debatte keine verfehlte gewesen. Den Religionsfrieden halte man für wichtig, aber der Schulfrieden und Rechte der anderen Schüler und Eltern seien in einer solchen Gemengelage mit zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber kann das Kopftuch nur verbieten, wenn in der Schule oder im Schulbezirk eine Bedrohung des Schulfriedens vorliegt, wenn sich die Konflikte so verhärten, dass es neben verbalen auch zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen würde. Die Kopftuch tragende Lehrerin könne weiteren Zündstoff bieten, und ein ordnungsgemäßer Unterricht wäre nicht mehr gewährleistet. Dann dürfe der Staat das Tragen des Kopftuches verbieten. „Die Privilegierung der christlichen Kirchen, eine wohlwollende Neutralität unter Einbeziehung der Muslime ist eine große Baustelle“, so Heinig. Beim Religionsunterricht käme es zum Schwur, wenn gesellschaftlich heterogene Gruppen ihren eigenen Religionsunterricht einfordern. „Die Gleichbehandlung ist in der Verfassung noch nicht ganz eingelöst.“ Unverständlich gerade in katholischen Regionen: Die verlangte Kreuzabnahme. Doch, so Heinig, jeder hat das Recht, die Abnahme des Kreuzes in öffentlichen Räumen (Schule, Gericht) zu verlangen. Beim Beispiel der Vollverschleierung, zum Beispiel in Schulen oder Universitäten „bin ich eher skeptisch“, so Heinig. Hier habe die Schule die Pflicht, mit allen Mitteln durchzusetzen, dass das Gesicht zu sehen sei. „Wir wollen das Gesicht sehen, damit ein geordneter Unterricht stattfinden kann. Dazu brauchen wir Kommunikationsmöglichkeiten. Eine ordnungsgemäße Beschulung ist sonst nicht möglich.“ Harte Fakten, die Professor Heinig vorstellte, die aber von der Rechtsprechung her keine andere Deutung zuließen. Aber Recht entwickelt sich weiter, ist ein Prozess, und der fand auch in den Köpfen der Besucher statt. Denn die anschließende Diskussion zeigte, wie Recht und Gerechtigkeit objektiv und subjektiv auslegbar und nicht immer deckungsgleich sind.

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Ansprache von Dr. Heribert Lange zum Jahrestag des Novemberpogroms von 1938

11 Freitag Nov 2016

Posted by forumjc in 2016, Archiv

9. November 2016

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Meine Damen und Herren, wir alle, die Jahr für Jahr und schon Wochen vorher auf dieses Datum schauen, und uns überlegen, was es dazu wohl noch zu sagen gibt, und was der Gedenktag zur Reichspogromnacht 1938 vielleicht uns allen noch bedeutet, freuen uns sehr und danken Ihnen herzlich, besonders auch den jungen Menschen, die heute hierher gekommen sind – heute, 78 Jahre danach. Mit der reichsweiten Feuersbrunst, in der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nahezu alle Synagogen Deutschlands auf Befehl des damaligen Reichskanzlers Adolf Hitler und seines teuflischen Paladins Josef Göbbels in Schutt und Asche versanken, begann der offene und für jedermann wahrnehm-und sichtbare Kampf gegen das Judentum – haargenaus so, wie Hitler selbst dies bereits 1925 in „Mein Kampf“, also 8 Jahre vor der sogenannten Machtergreifung, dargelegt hatte. „Mein Kampf“ wurde übrigens und sozusagen zwangsweise jedem neuvermählten Paar auf dem Standesamt mitgegeben. Der Synagogenbrand galt den jüdischen Kultusstätten, also dem, was für Christen Kirchen sind und wo sie, die Christen, darauf bedacht sind, dass ihren Gotteshäusern keinesfalls Ähnliches oder jede andere Art der Schändung passiert. Das aber war lediglich der Anfang des blindwütigen Kampfs der Nazis, also der Hitler-Faschisten, zur Ausrottung des Judentums, seiner Kultur – die Bücherverbrennung jüdischer und weiterer Autoren hatte bereits 1933 stattgefunden und ebenso die Diffamierung der sogenannten entarteten Kunst – und sodann der jüdischen Menschen Deutschlands und am Ende ganz Europas. Es waren 6 Millionen Menschen, unter ihnen wahrscheinlich 1,5 Millionen Kinder; eines von ihnen war der in Lingen geborene und hier mit seinen Eltern lebende Ihno ten Brink, der im Alter von 12 Jahren in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde. Und aus Freren kennen wir den Namen des kleinen Samuel Manne. Hätte diese unfassbare Katastrophe der Kultur und der Humanität mitten in Europa mitsamt dem damit verbundenen gigantischen Völkermord, der Shoah, so auch geschehen können, hätte der Holocaust so auch passieren müssen, wenn die Menschen, möglichst viele Menschen, dagegen aufgestanden wären? Wir, die Nachlebenden, können darüber heute nur schlaumeiern und spekulieren. Denn bis heute gibt es trotz der Anstrengungen der Historiker und trotz der eigentlich eindeutigen Wahlergebnisse für die Nazis keine Klarheit darüber, ob und wie viele Menschen denn wirklich gegen Hitler standen, zumindest nicht Mitläufer seines totalitären Unrechtsregimes waren. Gleichwohl bleibt diese Frage immer weiter auf der Tagesordnung der Geschichte. Denn wenn Erinnerungsarbeit und Gedenkkultur über und an die Shoah einen Sinn haben sollen, kann solcher Sinn selbst tatsächlich nur gefunden werden, wenn wir die nie endende historische Verantwortung unserer Nation für den Tod von Abermillionen jüdischer Menschen, von Sinti und Roma, Homosexuellen und politisch Andersdenkenden in unserem Bewusstsein haben, in unserem Bewusstsein behalten und mitbedenken – immer auch mit Blick auf damals, mit Blick auf heute und mit Blick auf morgen. Indessen ist gewiss, dass es den Begriff der Menschenwürde und das Gebot der Menschenachtung auch damals längst schon gab. Denn das Abendland berief sich auch damals schon und schon lange davor auf seine jüdisch-christliche, mindestens aber wohl auf die christliche Tradition und Kultur und deren Gebote – egal, ob sie als gottgegeben galten oder in der inzwischen säkularen Gesellschaft als Ergebnis der Aufklärung und ihrer Philosophen, z.B. Immanuel Kant, betrachtet wurden. Menschenverachtung, Rassenideologie, Antisemitismus, Sexismus, Fremdenhass, Mord und Völkermord waren damit als gesellschaftliche oder politische Instrumente von vorne herein und per se ausgeschlossen – eigentlich, keineswegs aber tatsächlich. Und nicht einmal heute, also Jahrzehnte nach dieser furchtbaren Lektion, die uns nach Hitlers infernalischer Deutschstunde aufgegeben war und aufgegeben bleibt, ist das so, obwohl es überaus achtbare Anstrengungen gab und immer weiter gibt, Mitmenschlichkeit und die Achtung der Menschenwürde zu befestigen, z.B. 1948 durch die UNO-Charta der Menschenrechte, und sodann in den Grundrechten unserer Verfassung. Artikel 1 des Grundgesetz lautet darum: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“ Finden Sie, dass sich damit volksverhetzerische Begriffe und Parolen wie artfremd, Primitivgesellschaften, Quotenneger, Rettung des Deutschtums, Wirtschaftsflüchtlinge, Parallelgesellschaft, Islamisierung, völkisch und die Bewahrung des Völkischen, laut Alexander Gauland, „Am besten mit Bismarck‘-schem Instrumentarium auszurotten, nämlich ,mit Eisen und Blut‘ “ – finden Sie, dass dies alles sich mit dem Menschenwürdeanspruch unserer Verfassung oder gar den, dem christlichen Abendland heiligen Gesetzen Gottes verträgt? Und finden Sie nicht auch, dass die wachsende Zahl sogenannter Hasskriminalität, die wir den Polizeistatistiken entnehmen, das genaue Gegenteil dessen bezeugt? Hasskriminalität ist Kriminalität gegen Menschen und gegen Sachen, z.B. gegen Moscheen, Synagogen und Flüchtlingsheime, die in Brand gesteckt werden oder gegen die Menschen selbst, die darin einstweilen Zuflucht gefunden haben – leider auch in Lingen, wie wir uns ja sicher alle leicht erinnern. Und finden Sie es nicht auch bedrohlich und deprimierend zugleich, dass die Chefideologen dieser Rattenfängergilde inzwischen jedes 10. Wählers, mancherorts sogar jedes 6. Wählers gewiss sein können? Das aber ist ein Mehrfaches von dem, was sich sowieso im Sigma- oder 2-Sigmabereich am Fransenrand jeder Normalstatistik findet. Nicht nur von den derzeitigen Wahlsiegern und ihnen verwandten Gruppen wie NPD, Reichsbürgern, Identitären und ihren europäischen und neuerdings auch überseeischen Mitstreitern, also in den USA: was da heute passiert ist, haben wir wahrscheinlich alle überhaupt noch nicht begriffen – nicht nur in diesen Zirkeln werden Hass und Aggression gegen Fremde geschürt und gepäppelt. Die Rattenfänger sind in der Mitte etablierter Parteien mit ihren Parolen unterwegs z.B. so, wie ich es in einem Antrag gelesen habe, der am Wochenende einem Parteitag im Süden Deutschlands vorgelegen hat: Die Bundeskanzlerin dürfe nicht wiedergewählt werden, weil, ich zitiere: „… sie einen beispiellosen, oft unkontrollierten Migrationsstrom aus den rückständigsten, gewalttätigsten sowie christen- und frauenfeindlichsten Regionen dieser Erde nach Deutschland geleitet“ habe. Carolin Emcke, die neulich mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche geehrt wurde, und in ihrer Dankesrede auch ihre eigene Andersheit und ihre Betroffenheit durch die gesellschaftliche Debatte über Homosexuelle zur Sprache brachte, hat in und zu diesem Zusammenhang, wie ich finde, überaus klug formuliert. Ich zitiere: „Manchmal frage ich mich, wessen Würde, wenn sich [wie auch immer] Menschen gegen Menschen wenden, wessen Würde da beschädigt wird: unsere und die Würde derer, die nicht als zugehörig erklärt werden, oder die Würde jener, die uns und den anderen die Rechte, die zu uns gehören, absprechen wollen. [Denn] Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn und solange sie allen zugesichert werden.“ Und sie fuhr fort: „Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird“ Ja, sie sagte geschützt! „Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen oder Seinsweisen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.“. Was nun haben das eine, was an Parolen des Ungeists durch unsere Gesellschaft wabert, und das andere, was Frau Emcke uns ins Stammbuch geschrieben hat, mit uns, vor allem mit unser aller Verantwortung zu tun, von der hier ja auch die Rede sein soll? Ich denke, es geht darum, sich zu positionieren, Stellung zu beziehen und die von Überheblichkeit strotzenden Pseudoargumente von Volk und Vaterland als den in Plüsch verpackten Ungeist von damals zu entlarven, als es diese Formel auch schon gab – allerdings trinitarisch und beschworen als die Einheit von Führer, Volk und Vaterland. Was diese unsinnige Flucht in Restauration und Reaktion bedeutet hat und immer neu bedeuten kann, hat der Jenaer Historiker Norbert Frei kürzlich in einem einzigen Satz zusammengefasst – ich zitiere: „Was damals mit dem ,Völkischen‘ angefangen hat, fand seine Erfüllung und sein Ende im Völkermord.“ Deshalb könnte für unsere Verantwortung heute gelten und Aufgabe sein, was die jüdische Philosophin Hannah Ahrendt nach der Shoah und im Rückblick auf diese formulierte: „Was wir tun können? Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden. Und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen – gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen.“ Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Wohlwollen und für Ihre freundliche Geduld!

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Interreligiöses Friedensgebet im Kulturforum Sankt Michael

25 Montag Jan 2016

Posted by forumjc in 2016, Archiv

02. Februar 2016

Im Kulturforum Sankt Michael (Langschmidtsweg 66a, Lingen ) wird um 19:30 Uhr ein interreligiöses Friedensgebet stattfinden.

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