Forum Judentum Christentum

2005 – 2015

Ansprache zur Gedenkfeier am 9. November 2015

09 Montag Nov 2015

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Der Vorsitzende des Forum Juden Christen Dr. Heribert Lange hat bei den Gedenkfeiern in Lengerich und Lingen am 9. November 2015 aus Anlass der Erinnerung an den Judenpogrom vom 9./10. November 1938 eine Ansprache gehalten, deren Wortlaut hier dokumentiert wird.

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Liebe Lingenerinnen und Lingener, sehr geehrte Damen und Herren, (Liebe Bürgerinnen und Bürger von Lengerich) gerne möchte ich Ihnen zunächst dafür danken, dass Sie auch in diesem Jahr wieder zum Gedenken an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hierhergekommen sind, ganz besonders den noch jüngeren Menschen, mit denen wir unsere Hoffnung verbinden, dass sie die Erinnerung, auch die mahnende Erinnerung an die Geschichte der Shoah eines Tages weitertragen und sie bewahren. In dieser Novembernacht 1938 wurden beinahe überall in Deutschland die Synagogen, jüdischen Bethäuser und andere jüdische Einrichtungen in Brand gesteckt. Es hat sich inzwischen herumgesprochen und steht inzwischen auch in allen einschlägigen Geschichtsbüchern, dass dieses Flammenmeer über Deutschland den Beginn der Shoah bedeutete, also der geplanten und fabrikmäßigen Ermordung der Juden Deutschlands und Europas. Und es ist ebenfalls bekannt, dass die jüdischen Opfer der Nazis, die in den Gaskammern oder auf andere grausame Weise ermordet und in den Feueröfen der KZ verbrannt wurden, in Millionen zählen – genau gesagt sechs Millionen, vielleicht noch mehr. Und immer noch und immer weiter kommen wir Jahr für Jahr wieder, beileibe nicht(!) immer schon seit dem Kriegsende, hier zusammen, um daran zu erinnern – gewiss ja auch, um der Ermordeten zu gedenken, an die sich der eine oder die andere von Ihnen vielleicht noch erinnern kann. Ja, wir wollen, dass ihre Würde, ihre Ehre und ihr Antlitz vor uns wiedererstehen, damit auch dieses nicht in Vergessenheit gerät: dass sie nämlich Menschen waren. Menschen mit derselben Würde und denselben Rechten, also Menschenrechten oder Grundrechten, wie Sie und ich. Ist es nicht aber fragwürdig, daran Jahr für Jahr und immer mit demselben oder einem ähnlichen Ritual zu erinnern? – wurde ich neulich gefragt. Es müsse doch endlich einmal Schluss sein damit, und die Nazi-Geschichte sei ja Gott sei Dank seit sieben Jahrzehnten zu Ende. Fragwürdig? Ja, fragwürdig ist es in der Tat, denn es ist würdig der Frage, der Nachfrage, und auch würdig der Nachfrage nach der gesellschaftlichen Bedeutung eines derartigen Rituals, und ebenso der Frage nach seiner bewusstseinsprägenden Bedeutung für die Menschen, und dabei an vorderster Stelle ihrer Gewissen. Ich kann eine solche Nachfrage, zumindest nach einer Weile des Nachdenkens, nur ernst nehmen – SEHR ernst: Denn auch heute zündeln sie wieder, nicht gleich Synagogen, aber Flüchtlingsheime, mancherorts reihenweise, und richten damit ihre ganze Abneigung und gewiss auch Hass gegen Menschen, die sie nicht einmal kennen, und deren einzigen Makel, wenn es denn ein solcher wäre, ihre Fremdheit nämlich. Aber ist Fremdheit denn wohl nichts anderes und nicht mehr als die Wahrnehmung der Verschiedenheit der Menschen – gewiss auch wohl einer bis dahin unbekannten Verschiedenheit? Und gibt es, wenn das so ist, irgendeinen Grund, sich über sie zu erheben, wenn sie verschieden sind von uns, aber doch Menschen eben wie wir? Meine Damen und Herren, die Manier und der Anspruch, sich über andere Menschen zu erheben, sie gar für minderwertig zu erklären und sich damit von seiner gesellschaftlichen Verpflichtung für das Miteinder aller Menschen in einer Gesellschaft zu verabschieden, ist das ideologische Kalkül der Faschisten, die überall in Europa, nicht weniger bei uns, wie Gespenster der Nazis aus der Deckung kommen – umso mehr, je größer die Flüchtlingsströme werden. Es ist ihr Trick, sich der, in einer staatlichen Gemeinschaft für alle gültigen Verpflichtung zur Solidarität und des Respekts vor der Würde des Nächsten, der Menschenwürde eines jeden, zu entziehen und damit zugleich der gemeinsamen Verantwortung für das Ganze. Bezeichnenderweise ist die Sprache immer noch dieselbe geblieben wie damals: Judensau oder Judenarsch sind umgangssprachliche Begriffe zur Bezeichnung missliebiger Schulkameraden geworden – ganz egal ob sie jüdischen, christlichen, islamischen Glaubens sind und ebenso gelten „Ungeziefer“ und „Schmarotzer“ als Oberbegriffe zur Charakterisierung von Flüchtlingen und Migranten, Menschen also, die hierherkommen, weil sie der Bedrohung ihres Lebens und des Lebens ihrer Familien entkommen wollten. ABER: Auch für die Brunnenvergifter und Rattenfänger rechter Couleur oder aus der Ecke der Islamisten gilt, ebenso übrigens wie für uns alle, der Satz aus dem Koran: „Niemand von Euch hat den Glauben erlangt, solange er nicht für seine Brüder liebt, was er für sich selbst liebt“. Erkennen wir in diesem Satz nicht sogleich wieder, was auch das Gesetz der Juden ist und im 3. Buch Mose, dem 18. Kapitel, Vers 18 so steht? „…, [sondern] Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst“. Und: sogar wörtlich genauso lautet der entsprechende Vers in der christlichen Bibel nach Matthäus, 12, 31. Der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes, der im 17. Jahrhundert lebte, ist bei seinen Überlegungen, wie es denn gelingen könne, eine befriedete und friedliche staatliche Gesellschaft zu schaffen, von seiner eigenen Vorstellung des Urzustands menschlicher Gesellschaften ausgegangen und beschrieb diesen als „Krieg aller gegen alle“. Um zu einem Ende dieses kriegerischen und verteufelten Gesellschaftszustands zu kommen, schlug er vor, dass die Bürger ihre eigene Macht und ihre Machtmöglichkeiten an den Staat als dem Hüter des Gewaltmonopols abtreten und im Gegenzug dafür mit der Garantie ihrer Sicherheit durch den Staat rechnen dürfen. Etwa so funktioniert Gesellschaft heute beinahe in allen freiheitlichen staatlichen Systemen – aber längst nicht immer sonderlich GUT. Waren da die eben zitierten Religionen und ihre Stifter 1 000 und 2 000 Jahre früher als Hobbes nicht wohl klüger als dieser, als sie die LIEBE, wir würden heute sicher sagen wollen, die Achtung voreinander, zum obersten Prinzip erklärten und damit das weitere Prinzip eines friedlichen Miteinanders und vor allem Füreinanders? Und finden Sie nicht auch, dass man aus den Erfahrungen der Geschichte, nicht nur der jüngsten Geschichte, keinen anderen Schluss ziehen kann als den, dass der Mensch erstens ohne das Du und den und die Anderen zum Scheitern seines Lebens verurteilt ist, und zweitens das Gegeneinander der Menschen am Ende auch ihre Vernichtung bedeutet? – Mit anderen Worten: Kann es überhaupt ein rationales Kalkül für Ausgrenzung, Hass und Anfeindung oder Angriff gegen andere Menschen hier oder sonst in der Welt – noch dazu mit dem Ziel der Befriedung ihrer Gesellschaften – geben? Meine Antwort auf diese Frage ist ein klares und sehr entschiedenes NEIN und meine Appell an den Bürgersinn der Lingenerinnen und Lingener lautet: „Wehret den Anfängen!“ Lassen Sie mich bitte abschließend, und anschließend an diese Überlegungen, nun auch noch einmal zurückkommen auf die Frage nach der Fragwürdigkeit unserer Gedenkfeiern: Gedenken ist die uns noch verbliebene Möglichkeit, unseren Respekt vor den Mordopfern der Nazis, nicht nur der Juden, auch der Roma, der Homosexuellen und der missliebigen Neinsager, insbesondere der Sozialisten, Kommunisten und der Männer und Frauen der Kirchen zu bekunden, die die Bedeutung der Menschenwürde kannten und den Glauben an die Menschenrechte, über die wir soeben gesprochen haben, bereits hatten und von ihnen überzeugt waren, ehe diese in der UNO-Charta von 1948 aufgeschrieben wurden, um sodann beinahe weltweite Geltung zu erlangen. Erinnern aber müssen wir ebenfalls und immer weiter, weil uns die gegenwärtige, mindestens aufgeregte, wenn nicht hasserfüllte Debatte einmal mehr daran gemahnt, dass Geschichte nicht an sich und aus sich allein lebendig bleibt, und Lehren, die man aus ihr ziehen kann, sich dann vielleicht sogar als wegweisend erweisen, sondern immer nur dann, wenn wir den Menschen die Katastrophen vor Augen führen, die sie selbst mit ihren menschenverachtenden und ich-süchtigen Ideologien über ihr eigenes Geschlecht gebreitet haben. Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Geduld!

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Trauerakt Ruth Foster

09 Dienstag Sep 2014

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Am 9. September 2014 wurde auf dem jüdischen Friedhof in Lingen eine Gedenktafel für die am 5. August 2014 in London im Alter von 92 Jahren verstorbene Lingener Ehrenbürgerin Ruth Foster geb. Heilbronn enthüllt. Der Vorsitzende des Forum Juden-Christen Dr. Heribert Lange hielt dabei folgende im Wortlaut wiedergegebene Ansprache:

Als die gerade 20-jährige Ruth Heilbronn im Dezember 1941 zusammen mit ihren Eltern nach Riga deportiert wurde, war sie alt und erfahren genug, um illusionslos in die Zukunft zu schauen. Denn sie hatte bereits erlebt, wie zerbrechlich Nachbarschaft, Solidarität, Schutz, Hilfe und Gemeinsamkeit in Wirklichkeit waren, geworden waren – in einem Land nämlich, das den Primat der arischen Rasse zur Gesellschafts- und zugleich zur Staatsdoktrin erhoben hatte, in einem Land, in dem der Anspruch auf Achtung und Toleranz, aber auch auf Gleich-berechtigung und Gleichbehandlung zerronnen war; für die Menschen zumindest, die wie die Familie Heilbronn aufgrund ihres Glaubens – und aus keinem anderen Grund sonst !!! – nicht mehr als  Menschen, als Deutsche, wohlbemerkt: nicht mehr als Deutsche arischer Abkunft, angesehen und darum des Todes, genauer gesagt: der Ermordung für würdig befunden wurden. Es gehört für mich dazu, auch heute (!), zu erklären und immer weiter zu sagen, dass es mindestens sechs Millionen europäische Juden waren, die der Tod durch die Mordkommandos der Nazis in Todesfabriken wie Auschwitz oder sonst wo, z.B. auch in den Wäldern von Riga, damals dann über kurz oder lang ereilte.

Ruth Heilbronn überlebte die Verfolgung der Mörder – am Ende durch die Befreiung durch die damals so genannten feindlichen Armeen der alliierten Kriegsmächte, in diesem Fall der Roten Armee und mithilfe der Menschen, die ihr sodann wieder aufhalfen und sie instand setzten, in ihre Vaterstadt Lingen zurückzukehren. War es also eine Fügung Gottes, dass sie überlebte? Und was war dann die Shoah, in der doch ihre Eltern und die meisten anderen Glaubensgenossen ihr Leben auf unvorstellbar grausame Weise lassen mussten?

Nicht nur Ruth Foster, wie sie und ihr aus Polen stammender jüdischer Ehemann sich nach ihrer Emigration nach England nannten, waren wohl oder übel, eben so wie die meisten Über-lebenden der Shoah, von diesem Zwiespalt und der nie endenden Frage erfüllt: Wo war da ihr Gott, der gerechte Gott des Volkes Israel? Und wie die meisten von ihnen hat sie dennoch die Anfechtungen und Zweifel, die aus der furchtbaren Theodizeefrage erwachsen waren, tapfer und entschieden bestanden, und ist ihrem Glauben bis zu ihrem Ende auf dieser Erde treu geblieben.

Und mehr noch: Sie war es, die Ausschau hielt, schon vor mehr als 30 Jahren, nach den Menschen, den Menschen in der Stadt ihrer Kindheit und Jugend in Lingen, den jüdischen Men-schen Lingens, die, sofern sie überlebt hatten, beinahe in alle Welt zerstreut waren, und nach all den Menschen, in denen sie glaubte und hoffte, den Menschen selbst, die Idee des guten Gottes von seinem guten Menschen und seiner Würde wiederfinden oder endlich entdecken zu können, wenn es denn gelingen sollte oder überhaupt gelingen könnte, das entsetzliche Er-leben und die grauenvolle Erfahrung vom Ungeheuer Mensch, von den ungeheuren Deutschen, und den ungeheuren Ghettos, KZs und Ermordungsfabriken später doch einmal noch zu bannen.

Waren es wohl diese starke Idee und der unübersehbare Impuls ihrer eigenen Nachfrage hier bei uns und ihres Wiederkommens, die in unserer Stadt Lingen nachgerade zu einer Erwek-kungsbewegung für die Aufgabe der Erinnerung führten, und waren es nicht Ruth Fosters großmütige und menschenfreundliche Gesten und ihr beherztes und wirkungsvolles Mittun dabei, die uns heute, also den Erben des Nazi-Wahnsinns, und den Erben des äußeren, vor allem aber des noch viel größeren moralischen Trümmerhaufens, zu der Einsicht brachten, dass auch wir mit der Schuld dieser Nation unausweichlich und unentschuldbar verbunden sind?

Und war es nicht die zuerst von ihr ausgestreckte Hand der Versöhnung, die wir dann dankbar, und voller Ergriffenheit, aber auch voller Bewunderung über so viel menschliche Größe ergreifen konnten und ergriffen haben – freilich immer verbunden mit ihrem Vertrauen dar-auf, dass wir bereit seien, die Lektion der Geschichte zu lernen und unserem Bemühen dar–um, dies auch zu leben?

Diese Lektion aber lautet, und muss auch immer weiter so lauten, wie es im Talmud steht: „Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung“ – ein Satz übrigens, den uns der vormalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker zugänglich gemacht hat.

Ruth Foster-Heilbronn hat ihn uns gelehrt und sie hat uns vor alle dem und obendrein instand gesetzt zu lernen – diese Botschaft zu lernen, die Botschaft des Talmud. Denn mit ihr und ih-rem physischen Überleben hatte auch ihr Glaube überlebt, den die damals noch so junge, aber schon so reife Anne Frank mit in den Tod und in die Ewigkeit nahm und dessen überwältigende Macht in dem an dieser Stelle so bedeutungsvollen Wort „dennoch“ steckt. Er lautet: „Und dennoch glaube ich an das Gute im Menschen!“

Wir stehen hier heute, um Dank zu sagen, Dank für ein Leben, das auch uns galt – ein Leben voller Großmut, von beispielhafter menschlicher Größe und voll der unerschütterlichen Hoffnung auf die gute Zukunft des Menschengeschlechts.

Ich verneige mich in tiefer Ehrfurcht und in großer Dankbarkeit vor Ruth Foster-Heilbronn und dem Beispiel ihres immer erinnerungswürdigen Lebens.

Möge, so steht es in hebräischen Lettern auf dem ihr gewidmeten Gedenkstein, nämlich aus dem 1. Buch Samuel, Kapitel 25, Vers 29, „möge ihre Seele eingebunden sein in das Bündel des Lebens“.

Erlauben Sie mir bitte, denn es sind ja überwiegend Christen, die hier versammelt sind und es waren Christen, die Niedertracht und Verfolgung immer schon gegen  Juden gerichtet haben, erlauben Sie mir also, auch weil wir ja mindestens, aber auch spätestens bei diesem Trauerakt mit einem Zeichen der Buße und unserer Bußfertigkeit „dran“ sind, Ihnen am Schluss unserer Gedenkfeier den nachfolgenden Gebetstext des großen Papstes Johannes XXIII. vorzulesen, den er vor mehr als 50 Jahren in Rom verfasst und gesprochen hat:

„Wir erkennen heute, dass viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen verhüllt haben, so dass wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen.

Wir erkennen, dass ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine Liebe vergaßen.

Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht an den Namen [der] Juden hefteten. Vergib uns, dass wir Dich in ihrem Fleische zum zweiten Mal ans Kreuz schlugen. Denn wir wussten nicht, was wir taten.“

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Lingener Tagespost: CDU und BN gegen Bau vor Jüdischer Schule

13 Mittwoch Nov 2013

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Lingen. CDU und Bürgernahe im Lingener Stadtrat lehnen eine Bebauung der derzeit freien Fläche vor dem Gedenkort Jüdische Schule ab.

Wie berichtet, hat das Forum Juden-Christen vorgeschlagen, das in städtischem Besitz befindliche Grundstück so umzugestalten, dass die derzeit recht unansehnliche Grünanlage die Bedeutung des Gedenkortes besser unterstreicht. Dem Vernehmen nach hat es wohl in den vergangenen Wochen die Anfrage eines Investors nach einer geschäftlichen Bebauung gegeben.

Die CDU teile die Argumente des Forums Juden-Christen zu 100 Prozent, unterstrichen Fraktionsvorsitzender Uwe Hilling und seine Stellvertreterin Irene Vehring am Dienstag. Hilling betonte, dass eine Bebauung des Grundstücks grundsätzlich nur im Einvernehmen mit dem Forum Juden-Christen erfolgen könne. Das Forum habe in dieser Sache eindeutig Stellung genommen, verwies der Christdemokrat auf das Ziel, den Vorplatz würdiger zu gestalten.

Die Vertreter der CDU machten deutlich, dass das Gebäude anders als in der Vergangenheit, wo es als Schule baulich im Hintergrund gestanden habe, seit 1998 ein Gedenkort sei. Diesen gelte es, entsprechend optisch aufzuwerten. „Für uns kommt ein Verkauf des Grundstücks deshalb nicht in Betracht“, erklärte Irene Vehring. Die Stadt stehe hier auch in einer moralischen Pflicht, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Eine Bebauung sei allenfalls vorstellbar, wenn sich in Lingen einmal eine jüdische Gemeinde bilden sollte.

Das Meinungsbild der Ratsfraktion decke sich im Übrigen mit dem von Oberbürgermeister Dieter Krone, sagten die Unionsvertreter. Krone hatte an der Fraktionssitzung am Montagabend teilgenommen.

Robert Koop, Fraktionsvorsitzender der BN, erklärte am Dienstag, dass die BN jede Bebauung des Grundstücks vor der Jüdischen Schule ablehnen. „Wir tragen auch die Vorstellung mit, das Grundstück vorzuhalten für den Bau einer Synagoge, falls in unserer Stadt eine jüdische Gemeinde neu entsteht.“ Aus moralischen Gründen wie aus der historischen Verantwortung heraus sei eine Nutzung des Grundstücks als Geschäftshaus ausgeschlossen. Die Bürgernahen würden sich für eine würdige Neugestaltung der kleinen Freifläche einsetzen, damit diese besser zum Gedenkort hinführe, so Koop.

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Ansprache zum Novemberpogrom von 1938

09 Freitag Nov 2012

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Am 9. November 2012 fand in Lingen wie alljährlich eine Veranstaltung zum Gedenken an den Novemberpogrom von 1938 statt. Dr. Heribert Lange sprach als geschäftsführender Vorsitzender für das Forum Juden Christen. Der Wortlaut der Ansprache wird im Folgenden veröffentlicht.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe ältere und jüngere Mitbürgerinnen und Mitbürger Lingens,

sehr herzlich möchte ich Sie wieder willkommen heißen zur Gedenkfeier vom Forum Juden-Christen im Altkreis Lingen und der Stadt Lingen zum 9. November 1938, der „Reichspogromnacht“. Besonders freuen wir uns, dass auch in diesem Jahr wieder eine ganze Reihe Jugendlicher dabei sind – m.W. vom Stadtjugendring, vom Kinder- und Jugendparlament und von den Berufsbildenden Schulen. Das macht Mut – besonders den Älteren unter uns.

Jeder und jedem der hier Anwesenden ist hinlänglich bekannt, dass in der Nacht zum 9. November 1938 überall im damaligen Deutschen Reich, und zwar auf Befehl Hitlers, die Synagogen in Brand gesteckt wurden, und dass es auch den hilfswilligen Feuerwehrleuten untersagt war, mit ihren Wehren gegen das unermessliche Flammenmeer vorzugehen. Das Naziregime wollte seinen ungeheuerlichen Frevel an den jüdischen Gotteshäusern in Deutschland ausdrücklich als Racheakt verstanden wissen, wobei man wissen muss, dass es zwar für Strafe und Sühne, nie aber für Rache, noch dazu solchen Ausmaßes, einen auch nur halbwegs vernünftigen Grund geben kann. Tatsächlich ging es den Machthabern des Hitlerregimes allein um einen weiteren und diesmal spektakulären Schlag gegen die Juden in Deutschland, nachdem beinahe allen von ihnen in den Jahren davor schon ihre Rechte als Staatsbürger aus dem einzigen Grund, dass sie Juden seien, aberkannt worden waren. Die „Reichspogromnacht“ kennzeichnete auf furchtbare Weise den Anfang vom Ende jüdischen Lebens in Deutschland und in jenen Staaten Europas, deren sich die Hitlerarmeen mit der nachrückenden SS im späteren Krieg bemächtigt hatten. Am Ende waren es 6 Millionen jüdische Menschen, die der NS-Staat gemäß der Logistik von Mordfabriken umbringen ließ.

Der Rassenwahn war es, der die Nazis in fanatischer Weise zu ihren Untaten antrieb: die aberwitzige, nie plausible Idee von der Minderwertigkeit der Juden, die man zu einer Rasse und zu Schädlingen des sogenannten gesunden arisch-deutschen Volkskörpers bestimmt hatte, und zwar mit Hilfe ebenso willfähriger wie beschränkter Mediziner und Erbbiologen. Menschenrechte, die es, auch wenn sie erst nach der furchtbaren menschlichen und moralischen Katastrophe des Holocaust, der Shoah, aufgeschrieben wurden, schon immer gegeben hatte, leiten ihren Anspruch, nämlich die Achtung der Menschenwürde, indessen nicht von der Hautfarbe, der Begabung, der Rasse oder ethnischen Abstammung ab, und auch nicht von Alter, Geschlecht, Krankheit, Behinderung oder Migrationshintergrund, sondern allein von der Schuldigkeit jedes Staats und seiner Gesellschaft gegenüber jedem Menschen und jedem Bürger, für den und auf den hin jede freie und humane Gesellschaft mit ihrer staatlichen Ordnung verfasst ist: Die Gewährleistung der Menschenrechte zur Gewährleistung der Menschenwürde ist somit nicht mehr, aber auch nicht weniger als des Staates Schuldigkeit gegenüber jedem seiner Bürgerinnen und Bürger und keineswegs eine Gnade, die uns nach Gutdünken der Regierenden zuteil wird oder nicht.

Dies ist übrigens  ein Grund, warum auch NSU-Leute zurückschauen sollten und des Unheils gedenken und befinden, dass nur das Konzept der wechselseitigen Achtung vor der Menschenwürde des jeweils anderen sie selbst davor bewahrt, zwischen die Mahlsteine einer Menschenwürdedebatte zu geraten und dabei nicht nur politischen, sondern auch physischen Schaden zu nehmen. Denn an der Hand, mit deren einem Finger sie auf die anderen zeigen, sind vier weitere Finger, die auf sie selbst weisen. Nur die wechselseitige Achtung jedes, aber auch wirklich jedes Menschen aufgrund seiner, mindestens schon aus staatlichen Rechten resultierenden Menschenwürde, nicht zu reden von der Menschenwürdebegründung Immanuel Kants und der Gottesebenbildlichkeit, die Christen sich und gewiss auch allen anderen Menschen aus ihrem Glauben zuschreiben, NUR solche wechselseitige Achtung kann Frieden schaffen und die Befriedung einer Gesellschaft leisten. Auch wird damit klar, dass ein Staat dann schon die Axt an die Wurzeln seiner Glaubwürdigkeit und seiner eigenen Humanitätskultur legt, wenn er wie Hitler und seine zahllosen Mordgesellen sich berufen und auch berechtigt fühlen würde, einzelne Menschen und Gruppen aus ihrem existenziellen Menschenwürdeanspruch auszugrenzen und sie dessen zu berauben – egal aus welchen Gründen.

Judentum ist eine Religions- und Kulturgemeinschaft und ohnehin nie einer Rasse gleich gewesen. Würden wir aber billigen, dass unsere Bewertungen anderer Menschen, Völker, Rassen an die Stelle ihrer Menschenwürde und der dieser dienenden Menschenrechte träten, dann hätte es in den USA nie einen Präsidenten Barack Obama und in Südafrika nie einen Nelson Mandela geben können, beide übrigens Träger des Friedensnobelpreises. Und wer kann das vernünftigerweise wollen bzw. nicht wollen?

Meine Damen und Herren, wir wollen gedenken und zu diesem Gedenken auch  die Ansprache unseres Oberbürgermeisters hören und wir wollen singen und wir wollen als Zeichen unseres Gedenkens einen Kranz beim Synagogengedenkstein niederlegen und wir wollen dann zusammen mit Gertrud Anne Scherger zur Schlachterstrasse 12 gehen, wo sich der Stolperstein, ein Gedenkstein also auch, für Max Hanauer befindet, der in einem sogenannten Vorzugsghetto für altgewordene Juden, im KZ Theresienstadt nämlich, umgekommen ist. Ich lade Sie dazu entsprechend Ihren Möglichkeiten am Ende unserer Feier HIER herzlich ein, und ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

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Lingener Tagespost: Mitgliederversammlung 2010

24 Samstag Apr 2010

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Heimatverein kooperiert mit Forum

Die Vorsitzende des Heimatvereins Lingen, Johanna Rickling, hat in der Mitgliederversammlung des Forums Juden-Christen die Absicht des Vereins unterstrichen, auch künftig mit dem Forum gemeinsame Veranstaltungen durchzuführen, „weil die jüdischen Bürgerinnen und Bürger zur Stadtgeschichte gehören“.

Kassenwartin Ingrid Hartmann berichtete von soliden Finanzen. Großen Dank zollte sie Edeltraut Graeßner für deren Hilfe bei der Buchführung. Ein Darlehen soll Ende des Jahres zurückgezahlt sein. Kassenprüfer Rüdiger van Acken stellte eine exzellente Führung der Kasse fest; der Vorstand wurde einstimmig entlastet.

Anne Scherger erläuterte den Entwurf einer Zeichnung für den Innenraum der Jüdischen Schule. Auf Anregung des Vorstandes hatte sie den mit ihr befreundeten Künstler Pinchas Katz darum gebeten. Katz möchte gerne ein Bild in einer Größe von 1,15 mal 0,70 Meter in Öl auf Holz malen. Es zeigt die Zerstörung der Lingener Synagoge am 9. November 1938.

Zur Einstimmung auf die Versammlung sang Johannes Wiemker die jüdischen Lieder Avinu Malkénu („Unser Vater, unser König“) und Shalom Aléchem („Der Friede sei mit Euch“).

Patenschaften für 20 weitere „Stolpersteine“

Die Fortführung der Aktion „Stolpersteine“ in Lingen zur Erinnerung an ermordete jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger findet große Resonanz. Darauf machte Anne Scherger in der Mitgliederversammlung des Forums Juden-Christen Altkreis Lingen e. V. im Gedenkort Jüdische Schule aufmerksam.

„Institutionen, Vereine und Privatpersonen haben sich bereit erklärt, mindestens 20 weitere Stolpersteine zu finanzieren und Patenschaften für die Steine zu übernehmen“, freute sich Anne Scherger. Sie erforscht seit vielen Jahren akribisch das Schicksal von Lingener Juden. Die Stolpersteine mit den eingravierten Namen der Opfer werden vom Künstler Gunter Demnig aus Köln hergestellt. In vielen deutschen Städten wurden in den letzten Jahren derartige Erinnerungssteine verlegt; in Lingen versenkte Demnig im April 2005 im Beisein vieler Bürger zwölf Stolpersteine ins Pflaster.

Nach einer Empfehlung des Kulturausschusses wird die Stadt 3 000 Euro für das Projekt bereitstellen. Das Geld soll für die Erstellung einer Dokumentation verwendet werden, in der das Schicksal aller Opfer beschrieben wird. Die Federführung hat hier Stadtarchivar Dr. Stephan Schwenke.

Mit großer Freude wurde in der Mitgliederversammlung die Mitteilung aufgenommen, dass der Lingener Ehrenbürger Bernhard Grünberg zur Einweihung der weiteren Stolpersteine, die auch an seine Eltern und seine Schwester erinnern, von England in die Emsstadt kommen möchte.

In Vertretung des erkrankten Vorsitzenden Dr. Walter Klöppel, dem die Mitglieder die besten Genesungswünsche aussprachen, umriss sein Stellvertreter Dr. Heribert Lange das Selbstverständnis des Vereins: „Wir verstehen uns als Sachwalter der Erinnerung und des Gedenkens an die Shoah, die von Deutschen inszeniert und exekutiert wurde und unter den Augen weiter Teile der Kirchen stattgefunden hat und zumindest einen Teil ihrer geistigen Wurzeln im Antijudaismus der christlichen Theologie hat.“ Die Erinnerung an dieses geistige und menschliche Inferno verpflichte dazu, sich für den Prozess der Versöhnung anzustrengen.

Nach einem Rückblick auf das abgelaufene Vereinsjahr erläuterte Dr. Lange das geplante Programm für 2010 und 2011. Das Jüdische Morgengebet wird am 3. Oktober im Jüdischen Bethaus in Freren stattfinden. Dazu soll auch die von Lothar Kuhrts und Heiner Schüpp entwickelte Dauerausstellung eröffnet werden, die sich mit der Geschichte des Bethauses, vor allem aber mit dem Schicksal der Frerener und Lengericher Juden befasst.

Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird die Ausstellung unter dem Thema „Kein Kinderspiel“ gezeigt. Darin geht es um Spielzeug, das Kinder im KZ Theresienstadt herstellten. Das Forum wird sich wie immer an den Gedenkfeiern zur Reichspogromnacht vom 9. November 1938 sowie an der Woche der Brüderlichkeit im Frühjahr 2011 beteiligen. Geplant sind ab Herbst 2010 auch wieder Lehrhausgespräche, deren inhaltliche Themen gerade vorbereitet werden. Im Rahmen des laufenden Programms wird am 16. Mai die neue Synagoge in Osnabrück besucht.

Johannes Wiemker lobte Lingener Schüler dafür, dass sie sein Programmangebot „Judentum begreifen“ gerne in Anspruch nehmen. Wer Interesse an dem Programm hat, kann sich mit Andreas Löpker von der Stadt Lingen, Telefon 0591/9144412, E-Mail: a.loepker@lingen.de, oder mit Johannes Wiemker, Telefon 0591/5646, E-Mail johannes.wiemker@gmx.de, in Verbindung setzen.

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Ansprache zum Novemberpogrom von 1938

10 Dienstag Nov 2009

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Am 9. November 2009 fand in Lingen wie alljährlich eine Veranstaltung zum Gedenken an den Novemberpogrom von 1938 statt. In Vertretung des 1. Vorsitzenden Dr. Walter Klöppel sprach Dr. Heribert Lange für das Forum Juden Christen. Der Wortlaut der Ansprache wird im Folgenden veröffentlicht.

Sehr herzlich möchte Sie alle Junge und alte Bürgerinnen und Bürger der Stadt Lingen am Ort des Pogroms vom 9. November 1938 gegen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger Lingens und ihre Einrichtungen begrüßen – des Pogroms, dessen wir auch in diesem Jahr wieder gedenken wollen und dessen wir soeben im ökumenischen Gottesdienst in der Trinitatis-Kirche im gemeinsamen Gebet gedacht haben. An dieser Stelle, an der wir uns heute Abend versammelt haben, stand, bis sie am 9. November 1938 in einem von den Nazis über das gesamte damalige deutsche Reich entfachten Flammenmeer versank, die jüdische Synagoge. Als der Gründervater des Forums Juden Christen, Josef Möddel, sich in den 1970er Jahren erstmals auf den jüdischen Friedhof unserer Stadt begab, da fand er ihn verrottet und verwahrlost vor und offenbar auch zum Steinbruch verkommen; denn eine Reihe der Gedenksteine auf den Gräbern war nicht mehr da. Als nach Wiederherrichtung des Friedhofs Bernhard Grünberg, der mit 15 Jahren als einziger seiner Familie dem Holocaust durch die Flucht mit einem Kindertransport nach England mit geraumer Not entkommen war, als inzwischen betagter Mann nach Lingen zurückkehrte, beschloss er, für seine Familie, die nach Riga verschleppt worden war und im dortigen Ghetto den Tod fand, einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof aufzustellen, und er beschloss auch, sich am Ende seines Lebens an dieser Stelle beisetzen zu lassen. Indessen bedurfte es einiger Mühe, Überzeugungsarbeit und Entschlossenheit, um alle Beteiligten dann auch davon zu überzeugen, dass nur das Wort „ermordet” als einzig authentische Bezeichnung für den Tod seiner Familie tauge und darum auch so auf diesem Gedenkstein zu stehen habe. Helga Hanauer schließlich, die als Kind den Holocaust in Holland unter der fürsorglichen Obhut wahrlich gottgefälliger Ordensfrauen überlebt hatte, geriet die völlige Außerachtlassung der Geschichte der jüdischen Familien Lingens während der Naziherrschaft bei der Aufzeichnung der 1000-jährigen Stadtgeschichte – ebenfalls in den 1970er Jahren – zu aussichtsloser und darum tödlicher Enttäuschung.

Hannah Arendt, die große jüdische Autorin und Vordenkerin hat gesagt: „Bewältigen können wir die Vergangenheit nicht, so wenig wie wir sie ungeschehen machen können. Wir können uns aber mit ihr abfinden. Die Form, in der dies geschieht, ist indessen die Klage, die aus aller Erinnerung steigt…”, und sie sagte weiter: „Sofern es überhaupt ein ‘Bewältigen’ der Vergangenheit gibt, besteht es im Nacherzählen dessen, was sich ereignet hat. Es regt zu immer wiederholendem Erzählen an: der Dichter in seinem sehr allgemeinen, der Geschichtsschreiber in einem sehr speziellen Sinn haben die Aufgabe, dieses Erzählen in Gang zu bringen und uns in ihm anzuleiten.”

Wenn wir uns heute hier und in inzwischen guter Tradition alljährlich an die Aufgabe machen, an das Unrecht des Naziterrors zu erinnern und seiner zahllosen Opfer gedenken, dann versuchen wir das in Hannah Arendts Weise, damit der unvorstellbare, unsägliche und wahnsinnige Völkermord niemals in Vergessenheit geraten möge; wir tun dies aber auch, um den Millionen Toten durch unser Gedenken, wenn es denn Verzeihung und Vergebung kaum geben kann – vermutlich nie – um ihnen allen durch unsere Ehrerbietung und die Trauer um das furchtbare Opfer ihres millionenfachen Tods ihre Würde zurückzugeben – die Menschenwürde, das wichtigste Unterpfand und im Übrigen auch Organisationsprinzip jeder Gesellschaft, die auf den Grundsätzen des Humanismus oder des Glaubens ihrer Menschen gründet.

Die Juden und Christen gleichermaßen „heilige” Schrift erklärt uns unsere Herkunft gemäß dem Schöpfungsakt im 2. Kapitel des Buches Genesis im 7. Vers: „Dann formte Gott den Menschen aus der Erde des Ackerbodens und blies in seine Nase den Odem des Lebens. So wurde der Mensch zu (s)einem lebendigen Wesen” – wir haben gelernt zu sagen: Gott schuf den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis. Würde und Menschenwürde, die wir uns zurechnen, sind uns so vom Schöpfer zu Lehen gegeben und an keiner Stelle dieses Buchs oder in einer anderen weltlichen oder Religionsverfassung steht geschrieben, dass sie, die Menschenwürde, nur den einen zukommt und den anderen nicht. Denn nach dem Plan Gottes sind alle Menschen derselben Abkunft und ihre Würde ist demselben, seinem Geist geschuldet Und dennoch haben Christen und Juden, obwohl als Kinder desselben Schöpfers Brüdern gleich, die einen gegen die anderen, sich gleich den biblischen Brüdern Kain und Abel und wie diese gegeneinander, erhoben, indem die einen die Ebenbürtigkeit der anderen wie mit dem mörderischen Anschlag des Kain gegen seinen Bruder zunichte machten.

Für die Christen und ihre Kirchen wurde der Antisemitismus zu ihrem Kainsmal und durchzieht, seit es Christentum gibt, unheilvoll die Geschichte der Menschheit: Die Ungleichheit von Menschen, die Infragestellung ihrer gleichrangigen Würde, die Idee vom Übermenschen oder der Überlegenheit einer besonderen Rasse, womöglich der sogenannten nordischen Rasse, und die mindere Achtung der Kleineren, der Ärmeren, der Anderen – dies alles sind Haltungen, die der Spur der unseligen Antisemitismus-Ideologie folgen und bis heute wirksam sind: Auch in unserer Gesellschaft – gegen Migranten, gegen Roma, gegen Analphabeten, Andersgläubige, Homosexuelle, gegen Hilfsbedürftige, gegen behinderte Menschen oder gegen die Alten. Es bedurfte also nicht mehr der Erfindung der Faschismus-Ideologie, um sich gegen andere Menschen oder ethnische Gruppen zu stellen – unter der Naziherrschaft dann mit millionenfacher tödlicher Perfektion. Denn nicht die verblendeten und wahnsinnigen Naziherrscher haben diesen Ungeist erfunden, vielmehr ist er, der Antisemitismus, ihm, dem Hitler-Faschismus gleich einer Blaupause in die Hände gefallen und damit, wenn auch ungewollt, zu seinem furchtbaren ideologischen Werkzeug geworden. Der perversen Fähigkeit der terroristischen Naziideologen war es indessen vorbehalten, sich dieser unsäglichen geistigen Tradition des christlichen Abendlands auf ihre einzigartig teuflische Weise perfekt zu bedienen.

Wenn wir schaffen wollen, was man von uns an diesem Tag, an diesem Abend erwarten darf, erwarten muss, dann haben wir bei unserem Erinnern und Gedenken zu Bedenken, dass es auch eine Schuld, mindestens aber eine Mitschuld des gesamten christlichen Abendlands und des traditionellen Christentums gibt, ganz gleich, ob ihre Protagonisten Bischof Williamson von der Piusbruderschaft oder Martin Luther heißen. Und wir haben weiter zu bedenken, dass das blinde Hinterherlaufen hinter unreflektierten Vorurteilen, Affekten oder Ideologien, wie wir selbst erlebt haben und wie die Geschichte zeigt, den Anfang vom Ende einer humanen und miteinander befriedeten Gesellschaft bewirken kann.

Künftiger neuer Schuld werden wir nur entgehen können, wenn wir dies nicht nur immer wieder neu bedenken, d.h. den todbringenden Ungeist und seine Wurzeln nie zu vergessen und an seine furchtbare Folge, die Shoah, die am 9. November 1938 ihren Anfang nahm, zu erinnern, sondern auch zu handeln, und zwar Tag für Tag, wie es uns von allem Anfang an durch die Bestimmung des Schöpfers aller Menschen aufgegeben ist und wie es in unserer Verfassung in Artikel 1 gleich im ersten Satz heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar”. Und die Väter unserer Verfassung meinten damit die Würde jedes Menschen.

Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Geduld!

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Erklärung zum Holocaust Gedenktag

26 Montag Jan 2009

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Aus Anlass des Holocaust Gedenktages fand am 26. Januar 2009 im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen ein Liederabend mit Esther Lorenz statt. Zu Beginn gab der Vorsitzende des Forum Juden Christen Dr. Walter Klöppel eine Erklärung zur Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft ab, darunter Richard Williamson, der als Holocaust-Leugner bekannt geworden ist.
Der Text der Erklärung lautet:

Ich habe Herrn Dr. Reininger gebeten, mir nach der Begrüßung das Wort zu geben, weil ich es nicht ertragen mag, eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Holocaust mit zu tragen, ohne einen Vorgang der letzten Tage zu bedenken.
Papst Benedikt XVI hat am letzten Samstag vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft, die sein Vorgänger aus der Kirche ausgeschlossen hatte, wieder in die Kirche aufgenommen. Die Pius-Bruderschaft, 1970 von Kardinal Lefebvre gegründet, wandte und wendet sich gegen zentrale Aussagen des II. Vatikanischen Konzils, so in der Liturgiereform, in Fragen der Ökumene und solchen des Verhältnisses zu den nichtchristlichen Religionen. Für jeden Katholiken, der sich den Gedanken des Konzils verpflichtet fühlt, ist dieser Vorgang eine Herausforderung oder gar eine Provokation. Aber es kommt noch etwas hinzu: Einer der begnadigten Bischöfe, Richard Williamson, soll seit langem und noch vor kurzem den Holocaust geleugnet haben. Gaskammern in Auschwitz habe es nicht gegeben. Ich habe das nicht glauben wollen, aber er hat es wohl so gesagt. Der Sprecher des Vatikans Lombardi distanziert sich von den Äußerungen Williamsons, sagt aber, das eine, die Rehabilitation, habe mit dem Anderen, der Leugnung des Holocaust, nichts zu tun. Mir fehlen dafür die Worte der Empörung, ich kann nur sagen: Ich schäme mich für meine Kirche. Ich hoffe, dass die weltweite Kritik in Rom zum Nachdenken führt. Der Vorgang zeigt aber auch, wie wichtig es ist, den Holocaust Gedenktag zu begehen und gegen das Vergessen und die Verharmlosung einzutreten.  Und so bin ich froh mit Ihnen hier zu sein und nun die Lieder von Esther Lorenz zu hören. In dem Sinne wünsche ich uns einen guten Abend.

Walter Klöppel
Forum Juden-Christen

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Vortrag von Dr. Peter Hertel: Die Friedensfähigkeit der Religion

09 Sonntag Nov 2008

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In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten auch im Emsland die Synagogen, wurden jüdische Beträume zerstört, jüdische Bürger misshandelt, verhaftet. Aus Anlass des 70. Jahrestages dieses Pogroms fand am 9. November 2008 ein besonderer Gedenkgottesdienst in der Gemeinde Maria Königin in Lingen statt. In diesem Rahmen hat Dr. Peter Hertel, ehemaliger Kirchenfunkredakteur des NDR, einen eindrucksvollen Vortrag gehalten. Auf vielfachen Wunsch wird der Text hier veröffentlicht. Das Forum Juden Christen dankt Dr. Hertel für seine Bereitschaft, den Text zur Verfügung zu stellen. 

DIE FRIEDENSFÄHIGKEIT DER RELIGION

Anmerkungen zur Diskussion über die Karfreitagsfürbitten

von Dr. Peter Hertel

Am Dienstag war es 50 Jahre her, dass Kardinal Angelo Guiseppe Roncalli zum Papst gekrönt wurde. Er wählte den Namen „Johannes XXIII.“ Als gütiger, menschenfreundlicher Papst ging er in die katholische Kirchengeschichte ein, aber auch in die Menschheitsgeschichte, geachtet und geschätzt auch von Nichtkatholiken. Er war ein Reformpapst, der u.a. eine neue Epoche im Verhältnis zwischen seiner Kirche und den Juden einleitete. Deshalb und anlässlich dieses 50jährigen Jubiläums es ist sicherlich genehm, mit einer Anekdote über ihn zu beginnen.

Als er noch Angelo Roncalli war und als Apostolischer Nuntius in Frankreich wirkte, lernte er bei einem diplomatischen Empfang den Oberrabbiner von Paris kennen. In dem langen Gespräch glühten wechselseitig viele menschliche Sympathien auf. Als schließlich zu Tisch gebeten wurde, standen die beiden – immer noch im angeregten Gespräch – plötzlich Seite an Seite vor der Durchgangstür zum Speisesaal. Da schob Nuntius Roncalli den Oberrabbiner sanft durch die Flügeltür und sagte dabei: „Das Alte vor dem Neuen Testament.“

Das war, scheint mir, mehr als eine schöne Geste. So etwas sagt ein Christ aus einer Einstellung heraus, in der er das Judentum als vollwertig anerkennt. Roncalli leugnete damit nicht die Unterschiede zwischen Christentum und Judentum; er war nie bestrebt, sie zu übertünchen oder gar aufzuheben, aber er sah seinen Gesprächspartner als gleichwertig an und respektierte seinen Glauben. Das war, zumal in den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, für viele Christen, nicht zuletzt für Katholiken, höchst ungewöhnlich. Über innerkirchliche und kirchenpolitische Auseinandersetzungen hinweg waren sich fast 2000 Jahre lang alle einig gewesen im Hass auf die Juden: Kirchenführer und Politiker, Kaiser von Byzanz und die alte Kirche ebenso wie Päpste, der spätere Martin Luther und die christlichen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert hinein. Im christlichen Bewusstsein waren Juden die Unterlegenen, sie waren zu missionieren und zu taufen, ihre Religion war dazu bestimmt zu verschwinden, so dass die Christen als die Erben einer ermordeten jüdischen Welt übrig bleiben würden.

Der große deutsche Dichter und Theologe Friedrich Nietzsche hat darauf hingewiesen, die Überführung der hebräischen Bibel, des sog. Alten Testaments, in das Christentum sei sein größter Beutezug gewesen, angelegt auf den Sieg über das Judentum.

Dahinter stand die christliche Überzeugung: Nur jemand, der an Jesus Christus glaubt, kann gerettet werden. Wer verblendet oder gar unbußfertig ist, darf zu seinem Heil gezwungen werden. Die Inquisition ging noch einen Schritt weiter: Wer das nicht einsehen kann, darf von den Besserwissenden und Einsichtigen zu seinem Glück gezwungen werden. Wenn er dann immer noch verstockt bleibt, darf er ausgeschlossen oder gleich mit dem Tode bestraft werden.

Einen markanten Wendepunkt setzte das Zweite Vatikanische Konzil, das von Johannes XXIII. für die katholische Weltkirche einberufen worden war. Nun erschien – um es vorwegzunehmen – der jüdische Weg ebenso als ein Weg zum Heil wie der christliche. Missionierung, christliche Mission an den Juden, kurz: Judenmission genannt war überflüssig. Dem Judentum wurde seine Existenzberechtigung nicht bestritten. Es wurde in seiner Eigenart respektiert. Sein Lebensrecht wurde anerkannt.

Aber nicht alle Christen mochten sich auf diese Neuorientierung einlassen. Heute müssen wir fragen, ob die Judenmission zurückkommt. Den spektakulären Anlass zu dieser Befürchtung hat ein Nachfolger Johannes’ XXIII. geliefert: Papst Benedikt XVI., und zwar mit einer Fürbitte in der katholischen Karfreitagsliturgie. Sie löste weltweit Entsetzen aus. In scharfem Ton warf Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, der obersten katholischen Chefetage in Rom vor, sie betreibe eine subtile Aufforderung zur Judenmission. Die jüdische Präsidentin nennt das Gebet brüskierend, überheblich und einen deutlichen Rückschritt im christlich-jüdischen Dialog.

Nicht zuletzt in Deutschland, dem Land der Shoa ist das Thema Judenmission ausgesprochen sensibel. Der christliche Antisemitismus ist eine Wurzel der Shoa, des Holocaust. Gern griffen die Nazis theologische Vorwürfe gegen die Juden auf, um das deutsche Volk auf die sog. Endlösung der Judenfrage einzustimmen. Dieser alte christliche Antisemitismus hatte die Missionierung der Juden als ein vorrangiges Ziel.

Die Juden, ihre Bekehrung zu Jesus Christus und damit das Ende des Judentums – eine lange, schmerzende Geschichte, tief in das kollektive Gedächtnis des jüdischen Volkes eingegraben: die Erinnerung an Pogrome zu Karfreitag und an Übertritte, mit Schwert und Zwangstaufe erzwungen. Das Kreuz, das zentrale Symbol des christlichen Glaubens, wurde den Juden zum Zeichen der Intoleranz und Arroganz, ja, mörderischer Verfolgung.

Als intern bereits bekannt war, dass der Vatikan die alte sog. tridentinische, Liturgie mit der judenfeindlichen Karfreitagsbitte neu beleben wolle, beschwor Rabbiner Henry Brandt, der Vorsitzende der deutschen Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland und jüdische Präsident des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, den deutschen Kardinal Kasper – er ist im Vatikan u.a. für den Dialog mit den Juden zuständig -: Herr Kardinal,… besonders in Deutschland [ist] die Mission an Juden ein rotes Tuch. Insbesondere hier ist jede Idee, jeder Anflug der Möglichkeit einer Judenmission quasi ein feindlicher Akt, eine Fortsetzung der Untaten Hitlers den Juden gegenüber auf anderer Ebene.

Genutzt hat es nichts, die alte Karfreitagsbitte zur Bekehrung der Juden wurde trotzdem restauriert. Der Aufschrei der Präsidentin Knobloch und des Rabbiner-Vorsitzenden Brandt, der sonst eher zurückhaltend reagiert, deuten an: die Nerven liegen blank. Kein Zweifel, der Religionsfriede, ein hohes öffentliches Gut in diesem Land, ist durch die päpstliche Karfreitagsbitte beschädigt worden. Erschwerend kommt hinzu, dass inzwischen auch die evangelische Seite einbezogen ist. Der genannte Koordinierungsrat jedenfalls hält der obersten Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor, auch sie gebe die Absage jeglicher judenmissionarischer Aktivitäten auf.

Worum geht es eigentlich in diesem Konflikt? Ich möchte ihn – aus christlicher Sicht – in zwei Thesen fassen, auch wenn sie in der notwendigen Kürze sicherlich angreifbar sind:

Erste These: Mit Jesus Christus hat sich die jüdische Religion vollendet. Sie hat, als Vorstufe des Christentums, seit Christus ihren Zweck erfüllt. Juden können nur noch zum Heil gelangen, wenn sie Jesus als den Messias anerkennen und sich zu ihm bekehren. Das Judentum geht im Christentum auf.

These zwei: Die Treue der Juden zu ihrem Bund mit Gott ist ihr Weg zum Heil. Das Judentum hat seine Existenzberechtigung – wie das Christentum. Damit streichen Christen zwar nicht, dass Christus das Heil der ganzen Welt, einschließlich der Juden, bewirkt. Aber die Juden, die in der Treue zu Gottes Bund und in der Liebe zu seinem Namen leben, sind bereits auf dem Weg des Heils. Deshalb müssen Christen sich um das Heil der Juden nicht kümmern. Folglich entfällt auch die Missionierung.

Beide Thesen haben Theologen aus der Bibel und aus der kirchlichen Tradition begründet, wobei ich jetzt die Klimmzüge, die teilweise dazu notwendig waren, nicht behandle. Beide Thesen unterscheiden sich indes grundlegend voneinander. Die erste bestreitet der jüdischen Religion letztlich ihre Existenzberechtigung, die zweite dagegen nicht. Nur die zweite, die das Judentum voll anerkennt, dient dem Religionsfrieden. Die erste erklärt die Christen zu Siegern über die Juden; die zweite respektiert die Eigenständigkeit des Judentums und sein Lebensrecht.

Ich möchte den Hintergrund des Konfliktes näher beleuchten:

Die feindlichen Kampagnen gegen das Judentum, auf der Basis der ersten These, begannen schon im römischen Reich, nachdem das Christentum die Staatsreligion geworden war. Seit Ende des 4.Jahrhunderts mehrten sich die Versuche der Kirche, durch Zerstörung der Synagogen, Vertreibung und Zwangstaufen das Judentum gewaltsam zu unterdrücken. Das geschah vor allem in Zeiten, in denen Könige und politische Herrscher ihr Land einen wollten. Ein Gebiet mit einer Staatsreligion, nur eine Religion hat Lebensrecht. Da wurden die Juden zu Fremdkörpern, die aus dem Volkskörper zu eliminieren waren – und die Kirche lieferte die entsprechende Ideologie.

Theologie und Politik, Kirchen und Staat, sind in dieser Sache also eng verwoben. Das lässt sich anschaulich an Spanien belegen, das ich jetzt als Beispiel herausstelle.

Normalerweise wird mit Lobesworten nicht gespart, wenn von maurischen Moslems, Juden und Christen in Spanien die Rede ist. Die Religionen hätten friedlich, ja geschwisterlich nebeneinander gelebt und eine reiche Kultur entwickelt – bis zu jener verhängnisvollen Epoche, als die sog. katholischen Könige nicht nur die Juden, sondern auch die Mauren vertrieben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Voraussetzung für das Zusammenleben der drei monotheistischen Religionen – Judentum, Islam und Christentum – auf der iberischen Halbinsel war die politische Konstellation. Die viel gerühmte Toleranz entsprang weniger der inneren Kraft der drei Religionen, sondern vor allem dem gesellschaftlichen Gleichgewicht, das die politischen Herrscher notgedrungen verwirklichen mussten.

Unter den Westgoten wurden Juden in Spanien unterdrückt und zwangsgetauft. Kein Wunder, dass sie die Mauren im Jahre 711 als Befreier begrüßten. Die arabischen Eroberer, die noch nicht so stark waren, sahen sich auf Juden, aber auch auf Christen angewiesen. Es begann eine 400-jährige Epoche der Toleranz, eine Blütezeit für die Juden. Als jedoch im 12. Jahrhundert die Dynastie der moslemischen Almoraviden an die Macht kam, änderte sich das tolerante Klima grundlegend. Die Almoraviden wollten einen islamischen Einheitsstaat, einen Gottesstaat, errichten. Sie unterdrückten Juden und Christen. Die meisten Juden flohen in die christlichen Königreiche Kastilien, Aragon und Navarra, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden, weil die christlichen Herrscher sie im Kampf gegen die islamischen Mauren brauchten. Nun begann hier eine Blütezeit für die Juden, die den Christen rechtlich sogar weitgehend gleichgestellt wurden. Auch aus anderen, christlichen, Ländern kamen Juden, die dort vertrieben worden waren, ins christliche Spanien.

Doch je sicherer die christliche Herrschaft in Spanien wurde, umso unsicherer wurde die Lage der Juden. 1492 war es dann soweit. Die christlichen Könige hatten den Islam politisch besiegt, die letzten Mauren verließen Grenada, und die Juden wurden nicht mehr gebraucht. Bleiben durfte, wer sich taufen ließ. Sonst musste er mit dem Tode rechnen. Der christliche Einheitsstaat war maurenrein und judenrein.

Eine notwendige Zwischenbemerkung: Kein Volk hat wie die Spanier die Juden ähnlich grausam aus sich entfernt und vernichtet – ausgenommen wir Deutsche während der Nazizeit, wobei festzuhalten ist, dass der Holocaust auch angesichts jener spanischen Greuel, einzigartig bleibt. Auschwitz, der in kalter Perfektion geplante und generalstabsmäßig ausgeführte Völkermord, ist ein singuläres Ereignis in der Menschheitsgeschichte, für alle Zeiten dem deutschen Namen eingebrannt.

Damals, im Mittelalter, haben die politischen Herrscher gern gesehen, dass Theologie und Kirche ihre staatlichen Ziele absicherten. Schon frühzeitig hatte der sonst so tolerante Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos dafür das Fundament gelegt, indem er die Lehre von den Juden als den Gottesmördern anschaulich darlegte:

„Weil ihr Christus getötet habt, weil ihr gegen den Herrn die Hand erhoben habt, weil ihr sein kostbares Blut vergossen habt, deshalb gibt es für euch keine Besserung mehr, keine Verzeihung und auch keine Entschuldigung. Früher habt ihr Moses, Jesaja und Jeremia angegriffen. Nun aber habt ihr alle Untaten in den Schatten gestellt durch die Raserei gegen Christus. Deshalb werdet ihr auch jetzt mehr bestraft. Es ist klar, daß ihr mit dem Mord an Christus ein viel schlimmeres und größeres Verbrechen begangen habt als Kindesmord und jegliche Gesetzesübertretung.“

Zum verheerenden christlichen Vorwurf des Gottesmordes gesellte sich die Überzeugung, dass Juden nur dann vor der Hölle gerettet werden könnten, wenn sie sich taufen ließen und Jesus als Messias anerkennen würden.

Die erste große Massenzwangstaufe hatte bereits im 6.Jahr-hundert stattgefunden, unter Kaiser Justinian. Byzantinische Kaiser ordneten wiederholt die Zwangstaufe an. Aber auch im Bereich der Westkirche geschah Ungeheuerliches. Ein besonders erschreckender Fall ereignete sich während der Kreuzzüge in Regensburg, als die Juden von Kreuzfahrern und Bürgern in die Donau getrieben und gezwungen wurden unterzutauchen. Dann legte man ein Kreuz auf das Wasser und erklärte den Gewaltakt zur Taufe.

Jahrhunderte lang wurde gelehrt, das gesamte jüdische Volk sei schuld am Tode Jesu und deshalb selbst schuld an Verfolgung und Tod; der Fluch ruhe auch auf allen Geschlechtern Israels. Sie müssten sich bekehren.

Das drückte sich zum Beispiel in der Liturgie des Karfreitags aus, als „pro perfidis Judaeis – für die treulosen Juden“ gebetet wurde: „Laßt uns beten für die treulosen Juden, daß auch sie unseren Herrn Jesus Christus erkennen.“

An den drei Tagen von Karfreitag bis Ostern, die nicht selten mit dem jüdischen Sederabend und mit Pessach zusammenfielen, entfachten Christen in früheren Jahrhunderten oft Pogrome, weil eben die Juden am Tode Jesu, des Gottessohnes, schuld seien; der Bund sei von den treulosen Juden des Altes Testamentes auf das Bundesvolk des Neuen Testamentes, die christliche Kirche, übergegangen.

Aber dann geschah etwas, was wohl kaum erwartet hatte: Papst Johannes XXIII. war es, der bei einem Karfreitagsgottesdienst auf das Wort „treulos“ verzichtete und es damit kurzerhand aus der Liturgie der katholischen Kirche strich. Und dann wurde bald darauf aus der Karfreitagsfürbitte auch der Missionsgedanke entfernt, der sich darin geäußert hatte, dass auch die Juden „unseren Herrn Jesus Christus“ erkennen sollten. Nun hieß die veränderte Fürbitte schließlich:

„Laßt uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluß sie führen will.“ – Nichts mehr, was an den angeblichen Gottesmord erinnert, keine Mission der Christen an den Juden.

In diesem Gebet fehlt jeder Bezug auf Jesus Christus, erst recht auf die katholische Kirche. Katholiken bitten also – ohne ihren Glauben und ihre Kirche ins Spiel zu bringen – um die Treue der Juden zu ihrem Bund mit Gott.

Also: keine Mission der Christen an den Juden, sondern Respekt vor der jüdischen Religion. Die Juden sind die ersten, zu denen Gott gesprochen hat. Der Weg des jüdischen Volkes ist ebenso ein Heilsweg wie der des christlichen Geschwistervolkes.

Diese Theologie wurde schließlich der Kern der sog. Judenerklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils, jenes Konzils, das Papst Johannes XXIII. gegen starke Widerstände von Kardinälen einberufen hatte.

Die wichtigste Aussage des Konzilstextes über die Juden bezieht sich auf den alten Vorwurf des Gottesmordes. Da steht zunächst: Man darf die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern. Und dann wird berücksichtigt, dass Jesus nicht von Juden, sondern von Römern gekreuzigt wurde und dass die Kreuzigung ein historisch abgrenzbares Ereignis war. Dazu heißt es: Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heute lebenden Juden zur Last legen.

Hinzukommt, dass die katholische Kirche in einem weiteren Konzilsdokument das Recht des einzelnen auf religiöse Freiheit anerkannt hat. Das war eine zweite bemerkenswerte Kehrtwendung: Die Gewissens- und Religionsfreiheit wurde als ein Recht des einzelnen angesehen, das auf die Würde der menschlichen Person gegründet ist; das also auch derjenige hat, der mit der offiziellen Lehre der Kirche nicht übereinstimmt.

Knapp, mehr ist in dieser halben Stunde leider nicht möglich, halte ich fest: Für die katholische Kirche galt nunmehr die zweite These, die ich vorhin gekennzeichnet habe.

Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich damals in den evangelischen Kirchen. 1980 beschloss die Synode der rheinischen Landeskirche: „Wir glauben, daß Juden und Christen je in ihrer Berufung Zeugen Gottes vor der Welt und voneinander sind. Darum kann die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie die Mission an der Völkerwelt wahrnehmen.“

Diese Erklärung sagte im Hinblick auf unser Thema in etwa: Wir beenden die Mission an den Juden. Und: die christliche Kirche ist nicht an die Stelle des jüdischen Gottesvolkes getreten. Das Judentum hat seinen Eigenwert, es ist eben nicht Steigbügelhalter für das Christentum.

Das rheinische Dokument ist oft als vorbildlich für die evangelischen Kirchen hingestellt worden. Aber auch weitere evangelische Kirchen, das sei hier angedeutet, gaben ähnliche Erklärungen heraus.

Die Bekehrung der Kirchen, Anfang und Mitte der Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, war nicht ohne inneren Widerstand erfolgt. Mehrere Kardinäle hielten die Aussagen über die Juden für falsch. Der Protest formierte sich und hatte seine Wirkung. 1985, zum 20.Jahrestag der genannten Judenerklärung, publizierte die vatikanische Kommission für religiöse Beziehungen mit den Judenrichtlinien zum Judentum in Predigten und in der Katechese. Darin hieß es, dass sich nur in der katholischen Kirche die ganze Fülle der Heilsmittel finde. Das allein wäre noch kein Auftrag zur Judenmission gewesen. Doch dargelegt wurde auch, dass die Kirche allein der richtige Erlösungsweg sei: Kirche und Judentum können nicht als parallele Wege der Erlösung gesehen werden. Entscheidenden Anteil an der Erarbeitung des Dokuments hatte die Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI.

1992 war Glaubenspräfekt Ratzinger dann federführend für den katholischen Weltkatechismus verantwortlich. Auch darin wird dem Judentum keine eigenständige religiöse Bedeutung zuerkannt, sondern es erscheint – wie ehedem – als Vorstufe des Christentums. Das Judentum wurde wieder zur Folie für das Christentum.

1998 bestätigte Ratzinger seine theologische Einstellung in seinem Buch „Die Vielfalt der Religionen und der eine Bund“: der Bund, den Gott mit dem Volk Israel am Sinai geschlossen hat, so brachte er zum Ausdruck, wird durch den Messias Jesus überhöht. Das Vorläufige, das dieser Sinai-Bund hat, wird mit Jesus abgestreift, und es erscheint die wahre Endgültigkeit des Bundes. Das bedeutet: Ein Heil für Israel ohne seinen Glauben an Jesus Christus gibt es nicht – eine Überzeugung, die Ratzinger auch zum Ende des katholischen Jubiläumsjahres 2000 zum Ausdruck brachte: Lasset uns beten, dass Gott auch den Kindern Israels ein tieferes Wissen von Jesus von Nazaret geben möge.

Der Eklat kam acht Jahre später. Joseph Ratzinger, nun Benedikt XVI., ließ – um traditionellen Katholiken entgegenzukommen, aber gewiss auch aus eigener theologischer Überzeugung – offiziell den Ritus der Messe wieder zu, der vor dem zweiten vatikanischen Reformkonzil gegolten hatte, den sog. tridentinischen. Da steht dann auch die alte Karfreitagsfürbitte, die mit Johannes XXIII. und dem Konzil abgeschafft worden war. Benedikt XVI. formulierte sie nun so:

„Lasset uns beten auch für die Juden, dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Heiland aller Menschen erkennen.“

Als Gegenstück noch einmal die Formulierung im Sinne des zweiten Vatikanischen Konzils: „Laßt uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluß sie führen will.“

Der päpstliche Hoheitsakt bedeutet für die Katholiken: Bis 2008 war die alte Bitte abgeschafft, nun ist sie in katholischen Gottesdiensten wieder möglich. Damit gilt auch die erste These wieder. Dass sie nur bei einer bestimmten Liturgie angewandt wird, ist unerheblich. Entscheidend ist: Die vorkonziliare Karfreitags-Theologie, die vielen katholischen Christen als judenfeindlich erscheint, ist wieder da und kann ganz offiziell wieder benutzt werden. Die Änderung kam nicht von heute auf morgen, sondern wurde schleichend vorbereitet. Zwar stehen zurzeit beide Versionen nebeneinander, auch wenn sie sich eigentlich ausschließen. Aber unterm Strich ergibt sich: die klare Aussage des Konzils ist abgeschwächt. Das ist der Punkt. Und leider ist zu vermuten: wenn die Entwicklung in Rom so weitergeht wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten, könnte die erste These bald wieder die maßgebliche werden.

Denn Papst Benedikt hat die Linie des Glaubenswächters Joseph Ratzinger – nun als authentischer Lehrer – konsequent fortgesetzt. Auf der neuen Basis erläuterte Ende März dann auch der Wiener Kardinal und Benedikt-Intimus Schönborn in der englischen katholischen Zeitschrift The Tablet: Christen können nicht darauf verzichten, das Evangelium auch den Juden zu verkünden. Zwei Wege zum Heil gibt es nicht.

Das ist der Hintergrund für die empörten Reaktionen Knoblochs und Brandts. Die neue katholische Situation ist die geeignet, den Religionsfrieden in unserem Lande zu beeinträchtigen. Aber noch mehr: In der öffentlichen Diskussion wurde bisher praktisch nicht wahrgenommen, dass sich eine ähnliche Entwicklung auf evangelischer Seite zeigt.

1990 erschien in den maßgeblichen protestantischen Kirchen in Deutschland ein Heft unter dem Titel „Christen und Juden – Anregungen zum Gottesdienst“. In der Textvorlage betet die christliche Gemeinde für alle Juden, dass sie Jesus als ihren Messias anerkennen und den einen Gott gemeinsam mit allen Gläubigen anbeten und preisen. Zur gleichen Zeit ergänzte die Evangelische Kirche von Hessen-Nassau die Grundartikel ihrer Kirchenordnung. Diese Kirche zählt zu den fortschrittlichen evangelischen Kirchen in Deutschland. Offiziell lehnt sie Judenmission ab, aber gleichzeitig wurde den Juden ein eigener Weg zum Heil nicht zugebilligt, was letztlich dann doch der Judenmission Vorschub leistet. Eine ähnliche Position nimmt seit 1995 die evangelisch-lutherische Kirche Hannovers ein, die größte deutsche Landeskirche.

Im Jahre 2000 distanzierte sich die Evangelische Kirche in Deutschland zwar von jeder Judenmission, aber nicht grundsätzlich, sondern nur einschränkend, nämlich angesichts der Schuld, den deutsche Christen angesichts des Holocaust auf sich geladen haben und angesichts ihres Umgangs mit eigenen Mitgliedern im Holocaust. In ihrer dritten Studie „Christen und Juden“ befand sie wörtlich: Eine Kirche, die sich nicht mit allen ihr verfügbaren Mitteln in der Zeit tödlicher Bedrohung vor ihre getauften Glieder jüdischer Herkunft gestellt hat, hat schwerlich die Vollmacht zur Judenmission. – Mehr nicht. Judenmission wurde also nicht grundsätzlich abgelehnt.

Im April 2008 bezog sich darauf der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, der EKD: Die EKD habe sich deutlich von jeder Judenmission verabschiedet – und zwar angesichts der Shoa; doch, so habe ich eben dargelegt, nicht prinzipiell. So konnte Präsident Barth dann auch einschränken, und zwar anlässlich des Christivals in Bremen, auf dem auch Judenmissionare auftraten: Es bleibt aber unter uns strittig, ob es auch ein falscher Weg war und ist, Juden für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen; denn der Missionsauftrag gilt allen Menschen. Und klar sagte er für die EKD: Ein eigener Heilsweg wird nicht vertreten. In einem Brief an Barth protestierte daraufhin der schon mehrfach genannte Koordinierungsrat: Wir bedauern, … dass auch die EKD meint, evangelikale und konservative Gruppen wie das Christival hofieren zu müssen, indem sie klare theologische Aussagen zur Unverbrüchlichkeit des Bundes Gottes mit Israel und die damit verbundene Absage jeglicher judenmissionarischer Aktivitäten aufgibt.

Aus all dem ergibt sich für mich: In den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts öffnete sich das christliche Denken, mit ihm die Herzen der Menschen, die Sensibilität für Andersdenkende, und die Gesprächsbereitschaft der Religionen. Christentum und Judentum rückten einander näher. Den Juden wurde – in evangelischen und katholischen Kirchenleitungen – ein eigener Heilsweg kaum bestritten, heute wird er weitgehend nicht mehr zugebilligt. Und die Judenmission? Sie wurde damals aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Heute wird sie zwar nicht für opportun gehalten, aber nicht grundsätzlich zurückgewiesen, sondern wegen der deutschen Verbrechen in der Nazi-Zeit.

Die Juden hingegen fühlen sich durch die neue Entwicklung bedroht. Zwar müssen sie heute Gewalttätigkeit nicht mehr fürchten. Aber auch die „sanfte Form“ der Judenmission halten sie für „tödlich“.

Die Rolle der Politik in diesem Religionskonflikt ist auch heute unverkennbar. Religionsfriede ist ja nicht ein kirchliches, sondern ein allgemeines politisches, gesellschaftliches Gut. Und: Religion und Politik sind weiterhin eng miteinander verwoben. Dabei es ist bestürzend, dass Religion in der Öffentlichkeit vor allem als Ursache für Hass und kriegerische Auseinandersetzung gesehen wird – als Grund aller großen Kriege in der Menschheitsgeschichte. Allerdings werden nicht selten Kriege, die in erster Linie politische, soziale und ethnische Ursachen haben, als Religionskriege wahrgenommen, sobald auch Religion hineinspielt – schon deshalb, weil Religion als friedensunfähig gilt. Im allgemeinen Bewusstsein hat sich festgesetzt, dass sich Terroristen zur Rechtfertigung ihrer Greueltaten auf heilige Schriften berufen, und viele Menschen meinen, nur ihr Glaube sei richtig, sie haben nichts als Verachtung übrig für andere, die für die letzten Dinge andere Wörter benutzen, sie in anderen Normen und frommen Gewohnheiten pflegen. Die Diskussion um die Karfreitagsfürbitten ist angetan, die verbreitete Meinung über die Friedensunfähigkeit der Religion zu verstärken.

Als Hintergrund sehe ich zwei widerstrebende Einstellungen, in die sich die beiden Thesen, die ich vorhin zur Judenmission gezeichnet habe, einbetten lassen. Die beiden Einstellungen sind so: die einen möchten vor allem, dass Religion dem Frieden diene. Die anderen glauben, dass es vorrangig auf die Verwirklichung göttlicher Offenbarung ankomme, aber eben nur im Sinne ihrer eigenen Religion, die sie für wahr halten. Wenn sich diese Einstellung dann auch noch mit Militanz verbindet – was schnell passieren kann, weil es den Betroffenen um letzte Dinge geht -, dann kommt die Erinnerung an Religionskriege leichtfüßig zurück.

Aber andererseits; Ich möchte meine Glaubensüberzeugungen in meinem politischen Handeln nicht verraten. So wird es auch vielen anderen gehen. Da könnte hilfreich sein: den eigenen Glauben zu kennen und, wo erforderlich, die eigenen Glaubensüberzeugungen klar zu vertreten; aber auch, sich in den Glauben des anderen hineinzudenken, seinen Glauben und dessen Sozialisation kennenzulernen, Unterschiede zu benennen, sie nicht zu verkleistern, die berechtigte Position des Andersdenkenden zu respektieren, um mit ihm für eine friedvolle Menschheitsentwicklung zusammenarbeiten zu können. Dann könnte Religion zu einer fruchtbaren Bereicherung unseres gesellschaftlichen Lebens beitragen. In seiner Friedensenzyklika „Pacem in terris“ hat Johannes XXIII., der unvergessene Papst, bereits den Weg gewiesen, als er alle Menschen guten Willens zur Zusammenarbeit aufrief.

Auch seine Karfreitagsbitte, die später endgültig im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert wurde, ermöglicht diese Kooperation. Die Karfreitagsfürbitte Benedikts XVI. dagegen nicht; sie ist ja auf Abgrenzung, Ausschluss, Sieg über den Andersdenkenden angelegt.

Wie gehe ich als katholischer Christ mit der Entwicklung in der römischen Zentrale um?

Hanspeter Heinz, emeritierter Professor für Pastoraltheologie und Leiter des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat wissen lassen, er bete nicht für die Bekehrung der Juden, sondern für die Bekehrung von Papst Benedikt: dass unser Gott und Herr sein Herz erleuchte, damit ihm eine größere Sensibilität für die religiösen Gefühle Andersdenkender zuteil werde. Das gebe ich als die Anregung eines Theologieprofessors und Priesters für das Fürbittgebet in katholischen Gottesdiensten gern weiter. Aber darüber hinaus ist mir wichtig, dass Christinnen und Christen den Widerspruch gegen Benedikts Karfreitagsgebet immer wieder, bei jeder passenden Gelegenheit, vortragen. Das, denke ich, schulden wir unserer christlichen Geschichte ebenso wie den Ermordeten des jüdischen Volkes und seinen neu geschmähten Mitgliedern; aber auch dem Religionsfrieden in unserer vielgestaltigen, demokratischen Republik.

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Lingener Tagespost: Dr. Klöppel: Das Erreichte in der Ökumene nicht aufgeben

20 Freitag Jul 2007

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Lingen. Nach Ansicht von Dr. Walter Klöppel aus Lingen darf das Erreichte in der Ökumene nicht aufgegeben werden. Damit reagierte der Vorsitzende des Forums Juden-Christen Altkreis Lingen e.V. auf kürzliche Äußerungen von Papst Benedikt XVI., dass evangelische Christen “keiner Kirche im eigentlichen Sinn” angehören.
Die von Papst Benedikt XVI. bekräftigte Auffassung, dass evangelische Christen “keiner Kirche im eigentlichen Sinn” angehören, hat bei vielen Protestanten starke Irritationen ausgelöst. Bischof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, sieht für die Ökumene einen Rückschritt. Können Sie die Position des Papstes nachvollziehen?

Dass die römische Glaubenskongregation die Spezifika der katholischen Lehre von der Kirche deutlich macht und damit Unterschiede zu anderen christlichen Kirchen benennt, kann ich nachvollziehen. Auch diese Kirchen legen Wert auf eigene Positionen, wie das die Bischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers erst jüngst vor ihrer Synode deutlich gemacht hat. Das Verständnis von Priesteramt und Eucharistie unterscheidet in der Tat meine katholische Kirche von den Kirchen der Reformation, die Ämter und Abendmahl anders begründet sehen. Diese Unterschiede zu benennen ist geradezu Voraussetzung für den ökumenischen Dialog.

Nicht nachvollziehen kann ich die Schlussfolgerung der Glaubenskongregation, die den Kirchen der Reformation mit Hinweis auf den unstrittigen Unterschied den Titel Kirche abspricht. Darin sehe ich eine unnötige Kränkung und eine Belastung für die Ökumene.

Trotz der bestehenden Unterschiede wird Ökumene überall in Deutschland täglich praktiziert. Ein noch stärkeres Zusammengehen und nicht die Betonung des Trennenden sei das Gebot der Stunde, meinen viele Gläubige. Wie weit kann Ökumene heutzutage gehen?

Die Älteren von uns haben noch Sprachlosigkeit und Feindseligkeit zwischen den christlichen Konfessionen erlebt. Wir haben die Gesprächsbereitschaft unserer Kirchenleitungen und die Zusammenarbeit der Gemeinden als Befreiung erfahren. Das Erreichte dürfen wir nicht aufgeben. Ökumene heißt für mich, die andere Konfession geschwisterlich wahrzunehmen, die Unterschiede zu benennen, zu diskutieren und zu respektieren. Auf dieser Grundlage lassen sich Gemeinsamkeiten entdecken und befördern. Die verbleibende Verschiedenheit ist manchmal schmerzend, muss aber ertragen werden. Mitunter lässt sich Vielfalt auch als Reichtum erfahren. Die Lange Nacht der Kirchen in Lingen war ein solches Ereignis.

Wie er klären Sie es sich, dass der Papst den Ostkirchen die Bezeichnung “Kirchen” zuschreibt?

Dass die Glaubenskongregation die orthodoxe Christenheit als Kirche anerkennt, werde ich von meinem Ökumeneverständnis her nicht beklagen. Dass diese Kirchen in der Bewertung besser wegkommen, mag auch kirchenpolitische Gründe haben. Für unsere Zukunft geht es um weit mehr, es geht um das Miteinander der Weltreligionen. Dabei können unsere Erfahrungen im ökumenischen Dialog hilfreich sein: Unterschiede erkennen, benennen, ihnen mit Respekt begegnen und dann die Gemeinsamkeit suchen.

Vor dieser Aufgabe erscheint mir der Streit um den Titel “Kirche”, der mit dem Dokument aus Rom neu belebt wird, eher unzeitgemäß.

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Lingener Tagespost | Jüdische Gemeinde ist rasant gewachsen

13 Dienstag Mrz 2007

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Als die Besuchergruppe aus dem Altkreis Lingen das Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde Osnabrück betrat, sahen die Gäste, wie Kinder an Tischen malten: ein Zeichen für eine lebendige Gemeinde.

Auf Einladung des Forums Juden-Christen Altkreis Lingen e.V. fuhren 15 Interessierte unter Leitung von Schriftführer Heiner Schüpp nach Osnabrück, um sich in der Synagoge zu informieren und das Felix-Nussbaum-Haus zu besuchen.

Kompetent und anschaulich gab Lea Mor vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde einen Überblick über das jüdische Leben und beantwortete alle Fragen. Die Jüdische Gemeinde ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und wird vom Staat finanziell unterstützt.

Die in den Jahren 1906/1907 erbaute alte Synagoge befand sich in Nähe des Heger Tors und war ein Schmuckstück der Stadt. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde sie zerstört. Die Gymnasiallehrerin: “Damals umfasste die Jüdische Gemeinde etwa 500 Menschen. Die meisten von ihnen wurden während der Nazizeit ermordet, ein Teil emigrierte. Nach dem Krieg kam nur eine Hand voll Juden zurück.”

Zum Bedauern der Jüdischen Gemeinde wurde auf dem Gelände der alten Synagoge, das nach dem Krieg als Parkplatz für die Bezirksregierung genutzt wurde, kein Neubau verwirklicht. Die öffentliche Hand stellte stattdessen ein Grundstück in Nähe der Illoshöhe (Adresse: In der Barlage 43) zur Verfügung. 1967 wurde die neue Synagoge der Gemeinde übergeben.

Das Einzugsgebiet der Jüdischen Gemeinde umfasst den alten Regierungsbezirk Osnabrück, das sind die heutigen Landkreise Osnabrück, Emsland und Grafschaft Bentheim.

“Verzeichnete unsere Gemeinde 1989 etwa 60 Mitglieder, so sind es heute rund 1000”, berichtete Frau Mor. Der Grund für die enorme Zunahme: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nahm Deutschland bis heute mehr als 100000 Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auf, von denen viele dem Antisemitismus in ihren Heimatländern entkommen wollten. In der Bundesrepublik wurden diese Kontingentflüchtlinge auf die einzelnen jüdischen Gemeinden verteilt.

Frau Mor zeigte sich zuversichtlich, dass die mit der rasant angestiegenen Mitgliederzahl verbundenen Probleme überwunden werden können. “Zwar gibt es manchmal noch Sprachschwierigkeiten, doch die Jugendlichen lernen schnell Deutsch, und die Älteren geben sich alle Mühe.”

Sie freute sich, dass es ein pulsierendes Gemeindeleben gibt. Neben der religiösen Unterweisung nannte sie Aktivitäten wie Theater, Singen im Chor, Sport und Schach. Zudem gibt es eine Frauen- und eine Seniorengruppe.

Nach den Worten von Frau Mor würde die Jüdische Gemeinde gerne die inzwischen viel zu kleine Synagoge erweitern, doch dazu fehlten leider die öffentlichen Mittel.

Interessierten Nicht-Juden ist es möglich, Gottesdiensten, die auf Hebräisch gehalten werden, beizuwohnen. Sie dauern zwischen 45 Minuten und zweieinhalb Stunden. Es war ein bewegender Augenblick, als Frau Mor eine Thorarolle, Herzstück der jüdischen Religion, vor den Augen der Besucher ausbreitete.

Anschließend nahmen die Gäste an einer Führung durch das 1998 fertiggestellte Felix-Nussbaum-Haus beim Heger Tor teil. Die Architektur von Daniel Libeskind und die ausgestellten Werke des Malers verschmelzen sich auf beklemmende Weise zu einer Symbiose. Der jüdische Künstler wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

Zur Besuchergruppe gehörte auch Religionslehrerin Angela Prenger aus Emsbüren. Sie unterrichtet an einer Grundschule in Mesum und möchte mit einer vierten Klasse das Felix-Nussbaum-Haus besuchen. Für den früheren Gymnasiallehrer Rolf Grunewaldt aus Lingen stand schon vor der Fahrt fest, dass er dem Forum Juden-Christen beitreten wird, “weil dessen Arbeit wichtig ist.” Heiner Schüpp empfand die Fahrt als sehr informativ.

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