Ein voller Erfolg war nach den Worten des Vorsitzenden des Forums, Simon Göhler, der „2. Lingener Lyrikmarathon“. In der dreistündigen Veranstaltung im Gedenkort Jüdische Schule in Lingen lasen viele Rezitatorinnen und Rezitatoren 36 Gedichte.

Freudige Erwartung der vielen BesucherInnen. Vorn der 1. Lingener Bürgermeister Stefan Heskamp, daneben Moderator Georg Aehling. Fotos: fwp

Georg Aehling ist Verleger der edition virgines (Düsseldorf). Dieser Verlag brachte den voluminösen Gedichtband „Ist es Freude, ist es Schmerz?“ heraus. Dessen Herausgeber Herbert Schmidt hatte 1.200 Gedichte und die Biografien von 305 Autorinnen und Autoren mit jüdischen Wurzeln zusammengestellt.

Aehling moderierte auch den Abend. Er ging zu Beginn auf den doppelten Anlass der Veranstaltung ein, die Woche der Brüderlichkeit, die vom Koordinierungsrat der Christlich-Jüdischen Gesellschaften Anfang März ausgerufen wurde. Weiterer Anlass war der Weltfrauentag, an dessen Vorabend die Veranstaltung stattfand. Daher stammten die rezitierten Gedichte aus der Feder jüdischer Frauen.

Aehling führte zur Zielsetzung des Forums aus: „Wir wollen heute vor allem auch die kulturellen Leistungen jüdischer Dichterinnen und deren Einsatz für eine freiheitliche, demokratisch-humanitäre und menschenfreundliche Gesellschaft würdigen.“

Der Moderator ging weiter auf den Titel des Gedichtbandes ein. Dieser weise auf den Doppelcharakter der Gefühlslagen hin: „Schmerzliche Erlebnisse infolge gesellschaftlicher Ausgrenzung und Verfolgung, der Vernichtung oder des Exils und damit einhergehende Identitätszweifel, die den Gedichten eine besondere Aus­drucksstärke verleihen.“ Die Gäste erwarte das erhebende Erlebnis schöner und wertvoller Poesie in vielen Facetten und aus vielen Epochen. Denn die lyrische Begabung so zahlreicher Juden als Volk des Wortes und der Schrift habe sich in der deutschen Sprache ganz besonders zu Hause gefühlt.

Erster Rezitator war der Erste Bürgermeister der Stadt Lingen, Stefan Heskamp, der „Kanarienvögleins Traum“ von Friederike Kempner vortrug: 
‘Es bettet sich das Vögelein
In seinem eignen Flaum,
Es hüllet sich das Köpfchen ein,
Und träumt den schönsten Traum.
Vom blauen Himmel lebenslang

Simon Göhler rezitierte „Die Welt“ von Jenni Aloni: 
Was ist die Welt? Ein Bruchstück des Atoms,
das Kreisen seines Splitters um den Kern,
des allumfassenden Gebots Erfüllung,
und wenn du willst, ein Nichts, ein Wahn.

Anne Höltermann las ein Gedicht von Elfriede Gerstl: „1936 packte Mutter den ersten Fluchtkoffer“. 
1942 packte mutter den kleinen fluchtkoffer
schwarze tuchmäntel aus den 30ern zurücklassend
wir werden nicht mehr so viel brauchen.

Simon Göhler mit Weltkugel, während er “Die Welt” rezitiert.

Anne Höltermann mit Georg Aehling

Außer der Reihe trug die stellvertretende Vorsitzende des Forums, Angela Prenger, einen Text der Lingener Lyrikerin Helga Hanauer vor. Im Gedicht „Erinnerung“ verarbeitete Hanauer ihre tiefe Enttäuschung über das Vergessen jüdischen Lebens und Leidens in der Geburtsstadt ihres Vaters Gustav Hanauer: man wollte/ das getane begraben/in der tiefsten see

Der 1. Lingener Lyrikmarathon hatte 2016 stattgefunden. Das Forum Juden-Christen will nach dem großen Erfolg nicht wieder sieben Jahre vergehen lassen. Der 3. Lyrikmarathon soll bereits 2025 stattfinden.

Literaturhinweis: Die meisten Gedichte stammten aus der von Herbert Schmidt herausgegebenen Anthologie “Ist es Freude, ist es Schmerz? Jüdische Wurzeln – deutsche Gedichte”, Düsseldorf 2012, edition virgines, 1284 S., € 69.-