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“Die Kraft der Menschlichkeit und der Überlebenswille sind stärker als der Hass. Wir müssen daran glauben und uns für eine bessere Zukunft einsetzen.” Mit diesem Zitat der Shoa-Überlebenden Margot Friedländer beendete der Forum- Vorsitzende Simon Göhler seine Rede zum Gedenken an die Opfer der Nazibarbarei. Göhler ging auch auf aktuelle demokratiefeindliche Ereignisse ein.

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Göhler führte u.a. aus: „Der Holocaustgedenktag, der am 27. Januar an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945 erinnert, weist uns daraufhin, wie Hass, Vorurteile und extremistische Ideologien zu den schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit führen können. Wir müssen uns stets daran erinnern, dass der Holocaust nicht aus dem Nichts entstand; er war das Ergebnis von jahrelanger systematischer Propaganda, Diskriminierung und Hetze gegenüber bestimmten Gruppen.

So wurden auch in Lingen 57 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger verschleppt, deportiert und in den Konzentrationslagern ermordet. Ihre Namen werden wir später hören.

Heute, mehr als 79 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, stehen wir vor neuen Herausforderungen. Rechtsextremismus und Hass haben wieder zugenommen. In Deutschland sehen verstärkt Hassverbrechen. Rund 2.250 antisemitische Straftaten seit dem 7. Oktober 2023 wurden verübt.

Wir dürfen nicht zulassen, dass der Hass die Oberhand gewinnt. Der heutige Tag steht dafür, dass die Sehnsucht nach Frieden sehr groß ist. Ein friedliches Miteinander aller Menschen ist umso mehr wünschenswert.

Nicht erst das Geheimtreffen in Potsdam mit Mitgliedern der AfD und der „Identitären Bewegung“ haben uns gezeigt, dass sich die Vergangenheit wiederholen kann. Daher bin ich dankbar, dass in Deutschland so viele Demonstrationen gegen Rechtsextremismus stattfinden.”

Das Forum, das zur Solidaritätswache gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendparlament und dem Stadtjugendring vor das Lingener Theater an der Wilhelmshöhe eingeladen hatte, freute sich über die Teilnahme des Oberbürgermeisters der Stadt Lingen (Ems), Dieter Krone und etwa 200 TeilnehmerInnen. Der Ort wurde ausgewählt, weil im Anschluss ein Schauspiel zur Reise der St. Louis stattfand. Die jüdischen Passagiere des Schiffs hatten Visa für Kuba, wurden aber dort nicht von Bord gelassen. Da auch die USA oder Kanada die Menschen nicht aufnehmen wollten, fuhr die St. Louis zurück nach Europa.

Darauf ging Oberbürgermeister Dieter Krone ein, der die Massenmorde der Nazis in Erinnerung rief. Vor einigen Jahren hat eine Gruppe Studierender der Frankfurter Goethe-Universität den Versuch unternommen, sich der Größenordnung des Verbrechens anzunähern, dessen wir heute einmal mehr gedenken. Die Studierenden haben 2017 am ehemaligen Hauptsitz der I.G. Farben (Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG) in Form einer Namenslesung an die Ermordeten und wenigen Überlebenden des Konzentrationslagers Buna/Monowitz erinnert, dem Konzentrationslager, das die I.G. Farben direkt neben Auschwitz betrieben haben. Es sind nicht die Namen aller Menschen bekannt, die sich in Buna/Monowitz zu Tode arbeiten mussten und ermordet wurden. Der Namenslesung lagen daher die verbliebenen Überstellungslisten, die sogenannten Verlegungsmeldungen, des Häftlingskrankenbaus von Buna/Monowitz zugrunde. Diese hatten vermutlich Häftlinge versteckt und damit vor dem Versuch der SS, in den letzten Stunden des Lagers so viel Beweismaterial wie möglich zu vernichten, bewahrt. Fünf Stunden lang dauerte es, die Namen all derer vorzulesen, die nach der Vorstellung der Nazis und ihrer Mithelfer als minderwertig galten. Menschen, die es wie Unrat zu beseitigen galt. Ich weiß nicht, wie lange man Namen vorlesen müsste, um an alle Opfer des NS-Regimes zu erinnern. Nach heutigen Schätzungen brachten Nazideutschland und seine Vasallen bis zum Kriegsende in Europa am 08.05.1945 allein sechs Millionen Juden um, darunter 1,5 Millionen jüdische Kinder. Neben dem planmäßigen Genozid an den europäischen Juden wurden unter anderem rund sieben Millionen sowjetische Zivilisten ermordet. Eines der Schicksale möchte ich heute näher beleuchten, nämlich die Geschichte unseres ehemaligen jüdischen Mitbürgers Max Frank. An ihn und seiner Geschwister erinnern heute noch Stolpersteine vor seinem Elternhaus in der Alten Rheiner Straße 2. Max Frank wurde 1879 geboren und übernahm von seinem Vater den Viehhandel. Er wurde Vorsteher der Synagogengemeinde und heiratete Magda Neter aus Bentheim. 1938 emigrierte seine Frau nach Holland, wurde jedoch über Westerbork nach Auschwitz deportiert und dort im Februar 1943 ermordet. Als einer von 937 Juden ging Max Frank im Jahr 1939 in Hamburg an Bord der St. Louis. Zusammen wollten die Männer, Frauen und Kinder nach Kuba reisen und vor dort aus weiter in die USA oder andere Länder flüchten. Das Schiff bekam jedoch keine Landeerlaubnis in Havanna und muss den Hafen verlassen. Kapitän Gustav Schröder kämpft um seine Passagiere. Doch auch Amerika und Kanada verwehren die Einreise. Niemand auf der Welt will die jüdischen Flüchtlinge haben. Die St. Louis wird nach Hamburg zurückbeordert. Max Frank geht in Brüssel von Bord. Später inhaftierte ihn die Gestapo und bringt ihn ins Sammellager Mechelen. Von dort wird er im September 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nur Sohn Helmut, Jg. 1923, in Rheine geboren, hat überlebt. Er emigriert nach Israel. Forschungen zufolge werden 254 Passagiere der St. Louis im Holocaust ermordet.“

VertreterInnen des Kinder-und Jugendparlaments und des Stadtjugendrings verlasen, wie von Simon Göhler angekündigt, die Namen der von den Nazis aus Lingen deportierten Menschen. Vorbereitet wurde dies im Gedenkort Jüdische Schule.

Die Stellvertretende Forum-Vorsitzende Angtela Prenger mit Mitglieder des Kinder-und Jugendparlaments bei der Vorbereitung der Solidaritätswache. Foto: Simon Göhler

Die Lingener Tagespost berichtet über die Solidaritätswache:

https://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/lingen-150-leute-setzen-ein-zeichen-fuer-frieden-und-solidaritaet-46344955