Foto: LT, Carsten van Bevern

Nur wenige Tage nach dem am Mittwoch, dem 6.7.22 mit knapper Mehrheit gefassten Beschluss des Lingener Stadtrates, demzufolge die 1939 von den Nazis so benannte Bernd-Rosemeyer- Straße diesen Namen behalten soll, organisierte Dr. Walter Höltermann für das Forum einen Schweigemarsch mit anschließender Kundgebung. Der Aufruf des Forums lautete: „Der Rat der Stadt Lingen hat (…) entschieden, die Straße am Bahnhof weiterhin nach Bernd Rosemeyer zu benennen. Der Antrag, diese Straße nach Fredy Markreich zu benennen, wurde abgelehnt. Mit großem Erstaunen und tiefer Erschütterung hat dieses der Vorstand des Forum Juden-Christen Altkreis Lingen e.V. zur Kenntnis genommen. Diesen unseren Gefühlen wollen wir einen angemessenen Ausdruck verleihen und rufen zu einem Schweigemarsch am (…) auf.“

Foto: LT, Carsten van Bevern

Am Sonntag, dem 10.07. folgten ab 15:00 Uhr etwa 80 Bürgerinnen und Bürger dem Aufruf und gingen vom Lingener Bahnhof durch die Fußgängerzone in die Große Straße zum Stolperstein für Fredy Markreich.

Foto: LT, Carsten van Bevern

Walter Höltermann, Stellvertretender Vorsitzender des Forums, verglich die Lebensgeschichten von Rosemeyer und Markreich, beide etwa gleichaltrig. Während Rosemeyer sich aus Überzeugung oder aus Opportunismus den Nazis angedient hatte und bis zu seinem Unfalltod 1938 auf der Sonnenseite des Nazi-Terrorregimes stand, musste Markreich – nach KZ- Haft – sein Geschäft weit unter Wert verkaufen. Ihm gelang die Flucht nach Liberia, wo er 1944 an einer Infektionserkrankung starb.

Dr. Heribert Lange, Ehrenvorsitzender des Forums, ging auf den christlichen Antijudaismus ein, den er als Schüler erfahren hatte.

Foto: LT, Carsten van Bevern

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Lange wörtlich:

Der ungeschützte und freie Fall der deutschen Gesellschaft in die moralische Katastrophe erwischte Bernd Rosemeyer nicht unverhofft und unversehens, aber umstandslos, und machte ihn zum Teil des Systems, sogar so, dass er, so Viktor Klemperer, die Nazi-Idol-Figur Horst Wessel zeitweilig noch zu überstrahlen schien. Denn der inzwischen zum SS-Hauptsturmführer avancierte Rennfahrer verweigerte keinen Auftritt, keinen Dienst und keinen Gunstbeweis, den das System von ihm erwartete, wenn und da es doch und vor allen Dingen um seine Rennfahrerkarriere ging.

Dennoch: Niemand von uns ist befugt, darüber zu urteilen oder deshalb über Bernd Rosemeyer, wie wir oft genug erklärt haben, den Stab zu brechen und schon gar nicht über seine Familie.

Die Frage aber, ob er aus heutiger Sicht und vor dem dargelegten historischen Hintergrund immer noch der Ehrung würdig ist, die ihm 1939 (…) zuteil wurde, hat der Lingener Stadtrat, wenn auch mit knapper Mehrheit, am vergangenen Mittwoch, zu unser aller Entsetzen positiv entschieden. Und die Ratsmehrheit hat damit auch entschieden, dass es keinen Namenstausch eines Naziprofiteurs gegen ein Naziopfer(…) am Bahnhof in Lingen geben soll, an dessen Stolperstein und zu seinem Gedenken wir uns hier versammelt haben. Das ist, so denke ich, heute – noch viel mehr als die Biografie Bernd Rosemeyers – der eigentliche Skandal, über dessen Gründe nachzudenken mir schwerfällt, weil es Angst macht. Angst macht vor den Kräften der Reaktion und des Revisionismus, aber auch vor der Unbelehrbarkeit der Unbelehrbaren. Lassen Sie mich schließen mit dem Satz, dass ich mich schäme für die Stadt Lingen, die seit mehr als 50 Jahren auch meine Stadt Lingen ist.

Ja ! Ich schäme mich!

S.a. den Beitrag von Carsten van Bevern in der Lingener Tagespost. 

https://www.noz.de/lokales/lingen/artikel/60-buerger-demonstrieren-gegen-ratsentscheid-pro-rosemeyer-strasse-42499679