Beitrag lesen...

Die Sanierung des jüdischen Bethauses in Freren ist fast abgeschlossen. Es soll ein Zentrum der Begegnung sein.

Noch liegt gelber Bausand auf den neu verklinkerten Treppenstufen. Lose Lampenkabel ragen aus der hellen Mauer, in den frisch gestrichenen Räumen steht kein Stuhl und kein Tisch. Aber das sanierte jüdische Bethaus an der Grulandstraße in Freren fängt schon an zu erzählen. Zum Beispiel die Treppe mit den alten, braunen Trittstufen und dem gedrechselten, weinroten Geländer: Hier sind die Nazis am 10. November 1938 rücksichstlos nach oben gestürmt. Haben im Betraum die Fenster aufgerissen und alles nach draußen auf die Straße geworfen, Stühle, Schränke, Leuchter. Heute öffnet Reinhold Hoffmann fast behutsam die beiden Fenster und schaut nach draußen. „Wenn diese Mauern reden könnten”, sagt er nachdenklich. Der Baccumer leitet das Forum Juden-Christen im Altkreis Lingen. Der Verein hat sich vorgenommen, das älteste noch erhaltene jüdische Bethaus im Emsland zu sanieren. Damit dort wieder jüdische Gottesdienste und Gebetsstunden stattfinden können, damit sich Menschen bei Seminaren und Forschungsarbeiten begegnen. Das Ziel ist fast erreicht. Die Bauarbeiten sind nahezu abgeschlossen, in den nächsten Monaten werden die Räume eingerichtet. „Das Haus bietet eine riesengroße Chance”, sagt Hoffmann.

Hier hat sich jüdisches Leben in Freren konzentriert

Die Chance, sich zu erinnern an die Geschich­te der ehemaligen Synagogengemeinde Freren-Lengerich. Fast 100 Jahre lang haben sich in den Beträumen des Wohnhauses Juden aus der Gegend getroffen: mitten im Ortskern, zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche. „Hier hat sich das jüdische Leben in Freren konzentriert”, erzählt Reinhold Hoffmann. Er zeigt aus dem Fenster. „Gegenüber wohnte der Synagogenvorsteher, da war die jüdische Schlachterei und ein paar Häuser weiter lebten mehrere jüdische Familien.” Bis zum 11. Dezember 1941: Dann wurden die letzten Frerener Juden, das Ehepaar Manne, ihr zweijähriger Sohn Samuel und die Großmutter in das Ghetto Riga verschleppt. Lothar Kuhrts, stellvertretender Forums-Vorsitzender, hat in der „Geschichtswerkstatt Samuel Manne” dieses Schicksal dokumentiert.

Nach dem Krieg bekam das überlebende Ehepaar Manne das Haus zurück, aber es mochte dort nicht mehr einziehen und verkaufte es. Bis zum vergangenen Jahr wurde es als normales Wohnhaus genutzt. Auf Bitten des Forums erwarb die jüdische Gemeinde in Osnabrück das Gebäude. Das Forum sorgte für die Finanzen und die Sanierung. 379 000 Euro kostet das Projekt. Viele haben mitgeholfen: Neben der Gemeinde und dem Forum steuerten die Europäische Union, der Landkreis Emsland, die Stadt Freren, mehrere Stiftungen, Kirchengemeinden und private Spender das nötige Geld bei. Noch fehlen 145 000 Euro.

Aber Hoffmann ist zuversichtlich, dass das Projekt komplett realisiert werden kann. Und zeigt stolz im ersten Stock den vergrößerten Betraum mit dem Holzfußboden und den großen Fenstern. „30 Leute können hier sitzen, dort wird das ewige Licht hängen und da der Thora-Schrein mit einem samtroten Vorhang.” Mindestens zweimal im Jahr wird die jüdische Gemeinde Osnabrück laut Hoffmann hier Gottesdienst feiern. „Es gibt kein jüdisches Leben mehr in Freren, aber unser langfristiger Wunsch ist es, das irgendwann im Emsland wieder zu etablieren.” Und er hält die Hoffnung keineswegs für naive Utopie. Eine Chance soll das Gebäude auch in anderer Hinsicht bieten: als Lernort, als lebendiges Zentrum der Begegnung und Bildung, „als Brückenschlag zwischen Christen und Juden”. Deshalb hofft Reinhold Hoffmann, dass hier konfessions- und religionsübergreifende Gebetsstunden stattfinden. Er wünscht sich, dass Kuhrts` „Geschichtswerkstatt` einzieht und wissbegierige Schüler das Haus mit Leben erfüllen, dass Studenten aus Osnabrück und Oldenburg, Bremen und Münster hier regionale Geschichte erforschen. Seminare der katholischen, evangelischen und ländlichen Erwachsenenbildung, Vorträge und Stadtführungen sollen Menschen ins Haus bringen, „die miteinander reden und Fragen stellen”. „Dieses Haus gehört zur Geschichte dieser Stadt”, sagt der reformierte Christ Hoffmann eindringlich, „nehmt es an.”kirchenbote-07-09-03

Im Erdgeschoss des geteilten Hauses – die andere Hälfte soll privat vermietet werden – gibt es ein Büro für das Forum und eine Dauerausstellung über die Bewohner des Hauses und die Synagogengemeinde. Eine Gedenktafel im Flur wird ihre Mitglieder beim Namen nennen, jeder beleuchtet durch eine kleine Kerze. „Und wenn jemand im KZ umgekommen ist, wird da ,ermordet` stehen”, sagt Hoffmann.

Erinnerung an den kleinen Jungen Samuel Manne

Nicht nur das Bethaus erzählt von der Geschichte der Juden in Freren, sondern auch der jüdische Friedhof nur ein paar Minuten entfernt. Weil beides nach Auffassung des Forums zusammengehört, hat die Gruppe das kleine Gräberfeld bei der Sanierung ebenfalls bedacht. Wer durch das neue schmiedeeiserne Tor tritt, sieht unter hohen Bäumen die wenigen Grabsteine. Der Blick fällt auf ein großes Denkmal mit einer Inschrift: „Zur Erinnerung an unsere geliebte Mutter Emma Schwarz … und unser Kind Samuel Manne, geb. 31.12.1939, die zusammen am 2.11.1943 dem Naziterror zum Opfer fielen.” Samuel Manne, das ist der kleine Junge, der im Bethauses aufgewachsen ist, seine erste Schritte gemacht, die ersten Worte gesprochen, gespielt und gelacht hat. Und der im KZ getötet wurde, mit nicht einmal vier Jahren.

[Einklappen]