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“Diario de Ibiza”- so heißt die spanische Tageszeitung auf der Baleareninsel. José Miguel Romero arbeitet hier. Er ist als Redakteur viel unterwegs, um das tagesaktuelle Geschehen seinen Lesern näher zu bringen. Romeros Leidenschaft ist aber die Geschichte seiner Heimat und der Menschen, die auf der Insel gewohnt haben. Damit ist der Bogen gespannt bis nach Lingen, bis zu einem Zweig der jüdischen Familie Hanauer.

Auf Einladung von Anne Scherger verbrachte der spanische Journalist und Buchautor einige Tage in Lingen, um die Wurzeln von Biografien zurückzuverfolgen, die 1981 auf Ibiza mit dem Tod des 83-jährigen Hugo Hanauer und seiner neun Jahre älteren Schwester Else zu Ende gegangen waren.

Die pensionierte Lehrerin Anne Scherger hat sich durch die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in der Stadt Lingen große Verdienste erworben. Vor diesem Hintergrund war es eigentlich zwangsläufig, dass Romero bei seinen Forschungen auf Ibiza auch auf den Namen Scherger stieß.

Den Geschwistern Henriette, Alfred, Selma, Hedwig, Else und Hugo Hanauer war in der Nazizeit mithilfe ihres nach Buenos Aires emigrierten Bruders Friedrich die Flucht nach Ibiza gelungen. Ihr Leben dort war stark geprägt von der Weltpolitik: dem spanischen Bürgerkrieg und dem langen Arm der Nationalsozialisten. Das Damoklesschwert der Deportation schwebte auch auf Ibiza immer über den Hanauers. (Siehe auch den weiteren Bericht auf dieser Seite.)

Bei einer Internetrecherche über einen Schriftwechsel zwischen der Deutschen Botschaft mit Sitz in San Sebastian und dem spanischen Außenministerium im Juni 1939 war Romero erstmals auf den Namen Hanauer gestoßen. Er forschte beim Einwohnermeldeamt auf Ibiza weiter. Dort erfuhr der Journalist von ihrem Geburtsort Lingen, gelangte somit auf die Internetseite der Stadt und auf den Link “Forum Juden-Christen”.

Romero nahm Kontakt zum Lingener Stadtarchivar Dr. Ludwig Remling auf. Der schickte ihm Anne Schergers Buch “Verfolgt, deportiert, ermordet” zu, in dem die Lingenerin ausführlich das wechsel- und zumeist leidvolle Schicksal der Hanauers und anderer Lingener Juden während der Zeit des Nationalsozialismus beschreibt.

Das war im März 2004. Für die weitere Erforschung der Geschichte dieses Hanauerzweiges, der durch die Emigration dem Holocaust entging, war der nun folgende Briefkontakt zwischen dem Spanier und der Lingenerin ein echter Glücksfall. Da Anne Scherger Spanisch in Wort und Schrift beherrscht, konnten beide ihre Forschungsergebnisse austauschen und weiter aktualisieren.

In Lingen besuchte Romero Dr. Remling im Stadtarchiv und Museumsleiter Dr. Andreas Eiynck; er war in der Jüdischen Schule und auf dem Jüdischen Friedhof an der Weidestraße, wo die 1933 gestorbene Friederike Hanauer begraben liegt. Möglicherweise hatten die Geschwister bei der Steinsetzung für ihre Mutter ein Jahr später den Beschluss gefasst, nach Ibiza zu emigrieren.

Romero war sehr beeindruckt von der Art und Weise, wie ernst die Stadt Lingen mit der Geschichte ihrer jüdischen Bürger umgeht. Der Redakteur hat bereits ein Buch über die Opfer des spanischen Bürgerkriegs auf den Balearen geschrieben. Nun konzipiert er ein Buch über die Hanauers, will an ihrem Schicksal beschreiben, wie es den nach Ibiza geflüchteten Juden in der Zeit des Dritten Reichs ergangen ist.

Romero sprach auf der Baleareninsel auch mit Zeitzeugen, die die Hanauers noch gekannt haben. “Die Geschwister kamen in kein Urlaubsparadies, sondern wurden weiter existenziell verfolgt”, beschreibt Frau Scherger die damalige antisemitische Politik Spaniens.

Wenn Romero sein Buch fertig hat, möchte die Lingenerin nach Ibiza reisen und es dort in Empfang nehmen. Anne Scherger wird auch die Orte besuchen, die der Journalist im Buch beschreiben wird. Das Haus der Hanauers in St. Antonio gehört natürlich dazu. Es verfällt langsam, da seit 25 Jahren ein Rechtsstreit um das Erbe schwelt.

Das letzte Kapitel über die Geschwister ist also noch nicht geschrieben.

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