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Besuch aus Berlin gestern in Marienschule

Lingen (pe)
,,Wann wird der Antisemitismus ein Ende haben?“, fragte das junge Mädchen der Lingener Marienschule gestern Vormittag Dr. Alexander Brenner, seit Mai 2001 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Berlins. ,,Das wird an euch liegen“, erwiderte der 72-Jährige. In der kurzen Antwort Brenners lag die zentrale Botschaft an die jungen Leute des neunten und zehnten Schuljahres: Aus dem Wissen um die Geschichte heraus wachsam bleiben gegenüber allen Tendenzen der Ausgrenzung und des Hasses.

Dr. Brenner war auf Einladung des Forums Juden-Christen in den Altkreis Lingen gekommen. Nach Besuchen in Lengerich und Freren bildete gestern die Diskussion mit Schülerinnen und Schülern der Marienschule, eine Besichtigung des Gedenkortes Jüdische Schule am Jakob-Wolff-Platz und ein Empfang bei der Stadt Lingen den Abschluss seiner Reise.

Die Jungen und Mädchen der Marienschule hatten sich intensiv auf das Gespräch mit dem Gast aus Berlin vorbereitet, den Rektorin Margret Sandmann herzlich willkommen hieß. ,,Ihr Besuch hier ist für unsere Schulgemeinschaft von besonderer Bedeutung“, betonte die Pädagogin.

lt-01-02-03_5In einer ersten Fragerunde erfuhren die jungen Leute etwas aus der Biografie von Brenner, der als Neunjähriger 1939 in Polen den Einmarsch der deutschen Wehrmacht erlebte, Verwandte durch die Gräueltaten der Nationalsozialisten verlor, nach dem Krieg nach Deutschland kam und dort aus persönlichen Gründen blieb. Viele Jahre lang wirkte er im diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes mit, arbeitete als Jude in der deutschen Botschaft in Israel und war auch mehrere Jahre in Moskau.

Moderiert von Konrektor Benno Vocks stellten die jungen Leute Dr. Brenner anschließend Fragen zu allen Bereichen jüdischen Lebens und seiner leidvollen Geschichte. Sie erfuhren zum Beispiel, dass Rabbiner heiraten dürfen, dass der Vorsitzende der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands mit 13 000 Mitgliedern auch bei seinem Besuch in der Marienschule unter permanentem Personenschutz stand, dass das Verhältnis zum Christentum ein sehr schwieriges sei, da im Namen des Christentums über Generationen hinweg Juden getötet worden seien.

Die jungen Leute wollten auch wissen, wo Dr. Brenner die Ursachen für Hassausbrüche anderen gegenüber sehe. ,,Hassgefühle zu wecken ist leichter, als humane Gefühle zu verbreiten“, meinte der 72-Jährige. Er forderte die Schüler auf, wachsam zu bleiben und den Anfängen zu wehren.

Zur Sprache kam in der Runde auch der Nahost-Konflikt. Dr. Brenner wehrte sich gegen Darstellungen in den Medien, die das Vorgehen Israels in den besetzten Gebieten mit den Untaten der Nazis verglichen. Dies käme einer Verhöhnung der Opfer und einer Rehabilitation Hitlers gleich. Der Gast aus Berlin gab offen zu, dass auch er kein Rezept habe, wie zwischen Israel und den Palästinensern Friede hergestellt werden könne. Die Gründung eines eigenen palästinensischen Staates könne für Israel dann eine Gefahr bedeuten, wenn er nicht demokratisch legitimiert sei.

Unterbrochen wurden die Fragerunden von einer Musikdarbietung der Lehrerinnen Marion Staggenborg und Roswitha Kock und Liedern, die Lehrer Lutz Robers mit den Jungen und Mädchen eingeübt hatte. ,,Shalom chaverim“, sangen sie für Dr. Brenner zum Abschluss: ,,Leb’ wohl, lieber Freund“.

Auch die Jüdische Schule am Jakob-Wolff-Platz in Lingen stand auf dem Besuchsprogramm von Dr. Brenner. Dort trug er sich in das Gästebuch ein. Zuvor hatte ihm Stadtarchivar Dr. Ludwig Remling, der auch Vorstandsmitglied im Forum Juden-Christen ist, die Geschichte der jüdischen Gemeinde in der Stadt erläutert.

Anders als die unmittelbar angrenzende Synagoge war die Schule in der Pogromnacht vom November 1938 nicht dem Feuer zum Opfer gefallen. Dies hing, so Dr. Remling, mit der Sorge der Nachbarn zusammen, dass ihre eigenen Besitztümer Schaden nehmen könnten. Ausführlich beleuchtete der Historiker in seinem Vortrag auch den wechselvollen Umgang der Stadt Lingen mit ihren jüdischen Mitbürgern.

Dem Verdrängen oder schlichten Vergessen folgte Ende der 70-er Jahre der Beginn einer intensiven Aufarbeitung. Diese erfuhr mit der Einweihung des Gedenkortes Jüdische Schule im November 1998 durch den damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, eine Krönung. Die Ausstellung in der Schule ist vor allem das Werk der Lingenerin Anne Scherger, die sich um die Erforschung der jüdischen Geschichte Lingens besonders verdient gemacht hat.

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