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,,Bielefelder Transport 1941″: Ausstellung in Lingen

Lingen (to)
“Um eines bitte ich: Ihr, die ihr diese Zeit überlebt, vergesst nicht”. Diese Zeilen schrieb ein polnischer Jude, der im Warschauer Ghetto umkam. Irmgard Ohl gehört zu den wenigen, die überlebt haben. “Vergessen kann man das nie”, sagte die Überlebende des Ghettos in Riga anlässlich der Eröffnung der Ausstellung ,,Der Bielefelder Transport 1941″ im Kutscherhaus in Lingen. Zusammengestellt hat sie die Lingenerin Anne Scherger.

Mit der Dokumentation, die bis zum 25. November im Kutscherhaus zu sehen ist, erinnert das Forum Juden-Christen an das Leid der Lingener Juden, von denen nur wenige überlebten und keiner nach Lingen zurück gekehrt ist. Die aus Osnabrück stammende und jetzt in Hamburg lebende Jüdin Irmgard Ohl kam auf Einladung des Forums Juden-Christen aus Anlass des Gedenkens an die Reichspogromnacht in das Emsland und las aus ihren Erinnerungen, die mit der Ankunft des Bielefelder Transports auf dem Güterbahnhof Riga Skirotava beginnen.

Mit dem gleichen Transport wurden am 13. Dezember 1941 die meisten Lingener Juden zusammen mit ihren Leidensgefährten aus dem gesamten Emsland, den Regierungsbezirken Münster, Osnabrück und aus Bielefeld nach Riga deportiert. Die alte Hansestadt im Baltikum war während des Zweiten Weltkrieges eines der wichtigsten Logistikzentren der Ostfront. Der große Bedarf an Arbeitskräften war einer der Gründe für die Deportation von Juden aus ganz Europa in die lettische Hauptstadt.

,,60 Jahre nach diesem Transport ist diese Ausstellung notwendig, damit wir uns informieren und sensibel werden und somit ausgerüstet werden für die Aufgabe, die sich auch uns immer stellt: Nämlich allen Tendenzen einer auch nur in Ansätzen gleichen Entwicklung mit allem Engagement und aller Entschiedenheit entgegen zu treten”, betonte die Erste Bürgermeisterin der Stadt Lingen Ursula Ramelow, in ihrem Grußwort. Sie wünschte, dass möglichst viele Menschen, vor allem aber die junge Generation, die Ausstellung besuchen.

Dies war auch dem Vorsitzenden des Forums Juden-Christen, Reinhold Hoffmann, und dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde im ehemaligen Regierungsbezirk Osnabrück, Michael Grünberg, ein Anliegen. ,,Die Ausstellung soll in erster Linie aufklären. Sie ist für die jungen Menschen besonders wichtig, denn leider wissen sehr viele nicht, was damals geschah. Der Name Auschwitz sagt ihnen nichts”, stellte Grünberg fest. Er appellierte an die Erwachsenen, vor allem an die Eltern und Lehrer, die Aufklärung zu übernehmen. ,,Nur wenn die junge Generation die Geschichte kennt, kann sie dafür sorgen, dass sich derartiges nicht wiederholt und damit für eine hoffnungsvolle Zukunft sorgen.”

Die Bedeutung des Erinnerns unterstrich auch der 1. Vorsitzende des Vereins Emslandmuseum, Alexander Herbermann. ,,Für uns bleibt nach dem schrecklichen Jahrhundert nur eine Lehre: Wachsam gegenüber allen Ideologien zu sein und die Grundrechte zu verteidigen. Die Erinnerung soll uns zugleich auch Mahnung sein. Dazu helfen uns unter anderem Ausstellungen wie diese”, betonte er.

Die Ausstellung ist der Lingenerin Anne Scherger zu verdanken, die in Kleinarbeit Dokumente und Informationen gesammelt hat, um vor dem Vergessen zu bewahren, was damals auch im Emsland Menschen angetan wurde, die sich durch ihre Rasse und Religionszugehörigkeit von der Mehrheit unterschieden. Bereits vor zehn Jahren, zum 50. Jahrestag des Bielefelder Transportes, hatten Anne Scherger und Anne-Dore Jakob von Pax Christi eine Ausstellung mit dem Titel ,,Verfolgt- Deportiert- Ermordet” zusammen gestellt. Diese Ausstellung wurde an mehreren Orten, vor allem in Schulen gezeigt. ,,Seitdem ist viel neues Material hinzu gekommen. Wir sind in Riga gewesen, und dies war für mich ein Anlass, eine neue Dokumentation der Öffentlichkeit zu präsentieren”, gab Anne Scherger bekannt.

Sie erinnerte daran, dass der Bielefelder Transport vom 13. Dezember 1941 nur einer von über 20 Transportzügen mit dem Ziel Riga gewesen sei. ,,Mit diesem Zug wurden die Lingener jüdischen Familien Grünberg aus dem Judenhaus Wilhelmstraße 21 und Heilbronn aus dem Judenhaus Marienstraße 4 sowie die dort einquartierten Lengericher, das Ehepaar Josef und Rosa Heilbronn, und die beiden Frerener Juden Siegfried Meyberg und Simon Schwarz deportiert. Auch die in Lingen aufgewachsene Goldine Fiebelmann, geb. Hanauer, kam mit Tochter und dem vierjährigen Enkel mit diesem Transport nach Riga”, erklärte Anne Scherger.

Von den 1000 Deportierten dieses Transports überlebten nach Schätzungen nicht mehr als 15 Menschen. Irmgard Ohl ist eine von ihnen. In ihren Erinnerungen erzählt sie von den furchtbaren Erfahrungen, die sie im Rigaer Ghetto und später im Konzentrationslager Stutthoff und in weiteren Lagern machen musste. Hunger, Krankheit und Tod waren ihre ständigen Begleiter, bis sie vier Jahre später befreit wurde.

Diese Erfahrungen teilen mit ihr Ruth Foster, geb. Heilbronn, Ehrenbürgerin der Stadt Lingen, und Louis Grünberg aus Sögel, die aus Krankheitsgründen nicht an der Ausstellungseröffnung teilnehmen konnten. Bernhard Grünberg, Ehrenbürger der Stadt Lingen, blieben diese Erfahrungen erspart, wie er den Gästen im Kutscherhaus erzählte. Er konnte mit einem der Kindertransporte nach England gerettet werden, wo er heute noch lebt. Aber der 13. Dezember 1941 ist auch für ihn ein Schicksalsdatum, ,,das jedes Jahr aufs Neue die alten Wunden aufreißt”, denn seine Eltern und seine Schwester wurden mit dem Bielefelder Transport deportiert und kehrten nicht zurück.

Reinhold Hoffmann wies in seiner Rede auf die Bedeutung der Begegnung mit Zeitzeugen hin. ,,Ihre immer wieder kehrende Bereitschaft, uns von ihren schweren und leidvollen Erlebnissen zu berichten, hilft uns die Erinnerung wach zu halten. Aus der Vergangenheit zu lernen, hilft uns, in der Gegenwart zu leben”, so der Vorsitzende des Forums Juden-Christen.

Jüdische Meditationsmusik (Johannes Wiemker) und das vom Rabbiner Marc Stern aus Osnabrück gesungene Kaddisch-Gebet verliehen der Eröffnungsfeier einen festlichen und würdigen Charakter.

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