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Israelischer Botschaftssekretär Menahem Kanafi besuchte den Altkreis Lingen – Diskussion in Schule – Besuch des Jüdischen Friedhofs

Lingen (pe)
Die Beschreibung der Ursachen des Holocausts wird wahrscheinlich ganze Bibliotheken füllen. Menahem Kanafi faßte die Gründe vor fast 100 Jugendlichen aus der Oberstufe des Lingener Franziskus-Gymnasiums in einem Satz zusammen: ,,Der Mangel an Wissen ist einer der wichtigsten Faktoren, die zur Ausbreitung des Antisemitismus geführt haben”, meinte der Zweite Sekretär und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der israelischen Botschaft in Bonn. Der 32jährige Jurist hielt sich auf Einladung der Evangelischen Erwachsenenbildung (EEB) einen Tag lang im Altkreis Lingen auf

In der Weitergabe von Wissen über den Staat Israel, seine Religion und Kultur, sieht Kanafi denn auch eine zentrale Aufgabe seiner Arbeit. Er will Verständnis wecken für das Sicherheitsbedürfnis eines Landes, das das Mittelmeer im Rücken und Gegner aus der arabischen Welt vor sich hat. Eine wichtige Rolle kommt in diesem Zusammenhang nach seiner Auffassung den christlich-jüdischen Gesellschaften in Deutschland zu, die wechselseitig dazu beitragen würden, Unwissenheit übereinander in Wissen voneinander zu verwandeln. Diesem Auftag kommt in der Stadt Lingen der Arbeitskreis Judentum-christentum seit vielen Jahren nach.

,,Die Unwissenheit war eine Vorbedingung für den Ausbruch der Pogrome”, schlug der Botschaftssekretär in seinen Ausführungen auch einen Bogen hin zu den Ereignissen in Deutschland vor 60 Jahren. Unkenntnis sei eine Basis für Haß, der schließlich in den Holocaust und in die millionenfache Vernichtung der Juden geführt habe. Wichtig sei es daher, daß die Menschen, Christen und Juden, mehr voneinander erführen. Sie sollten in einen offenen Dialog eintreten.

Das taten die jungen Leute und Kanafi nach seinem Vortrag denn auch, moderiert von Geschichtslehrer Jürgen Königschulte. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die aktuellen Friedensgespräche zwischen Israel und der PLO. Zu diesem Friedensprozeß gebe es keine Alternative, meinte Kanafi. Die Palästinenser müßten ihr Leben selbst verwalten dürfen. ,,Aber gleichzeitig müssen wir alles tun, daß die antisemitischen Gefühle in der arabischen Welt in der Praxis nicht zum Tragen kommen”, warb der Israeli um Verständnis für die Bedeutung der Sicherheitspolitik in jeder israelischen Regierung.

Ein Schüler fragte in diesem Zusammenhang, ob nicht auch die Siedlungspolitik in Israel ein Grund für die Ursache von gewalttätigen Auseinandersetzungen sei und ob nicht die Siedlungsbewegung zu viel Einfluß auf die Regierungspolitik ausübe. Kanafi räumte ein, daß die Siedlungsbewegung ein Problem mit dem Friedensvertrag habe. Tatsächlich stelle sie aber nur eine Minderheit in der israelischen Bevölkerung dar. Auf der anderen Seite ermögliche das israelische Wahlrecht, das keine 5-Prozent-Hürde kenne, auch kleinen Gruppen den Einzug ins Parlament (Knesset). Da die aktuelle Regierung Netanjahu nur über eine äußerst knappe Mehrheit verfüge, könnten die Splittergruppen in der Knesset das Zünglein an der Waage spielen.

Von der großen Politik des Staates Israel zur regionalen jüdischen Geschichte waren es im Anschluß an die Diskussion im Franziskus-Gymnasium für Menahem Kanafi nur ein paar Kilometer. An der Weidestraße in Lingen besuchte er den Jüdischen Friedhof. Vor den Grabsteinen der jüdischen Familien aus Lingen und Umgebung ließ Gertrud Anne Scherger vom Arbeitskreis Judentum-Christentum in ihren Erläuterungen die Erinnerung an jene wieder lebendig werden, deren Biographien der Nationalsozialismus zerstörte hat – wie die von Bendix, Marianne und Gerda Grünberg zum Beispiel. Der einzige Überlebende aus dieser Familie, Bernhard Grünberg, wird am Sonntag vor dem Gedenkstein für seine Eltern und seine Schwester stehen, die im Getto von Riga und im KZ Stutthof starben.

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