Den folgenden Brief richtete Georg Aehling an den Lingener Oberbürgermeister Dieter Krone:

“Ich möchte hiermit meine tiefe Enttäuschung über die Entscheidung des Rats der Stadt Lingen vom 06.07.2022 zur Frage der Umbenennung der Bernd-Rose­meyer-Straße bekunden und Ihnen für Ihre aufrechte Haltung in dieser Ange­legenheit danken und meine hohe Anerkennung dafür ausdrücken.

Die Meinungen über das Für und Wider einer Umbenennung sind ausgetauscht, aber die fragwürdigen wahren Motive vieler Gegner einer Umbenennung werden leider selten benannt. 

Ich erfahre in Gesprächen mit entsprechenden Personen immer wieder, dass eine falsch verstandene Heimattreue und ein falsch verstandener Lokalpatrio­tismus den Hintergrund für den Wunsch nach Beibehaltung des Straßennamens Bernd-Rosemeyer-Straße bilden. Beides zeigt sich in dem sentimentalischen und selbst­gefälligen Festhalten an der verehrten Sports ‘kanone’ Rosemeyer, die für viele eine in nahezu kindischer Weise verehrte Identifikationsfigur darstellt. Von einem solchen lokalen Idol, das schon in jungen Jahren Kunststücke mit dem Motorrad auf dem Marktplatz vorführt und später als Rennfahrer den Namen Lingens in die Welt trägt, fällt vielen eine innere Abkehr schwer. Ein solches Verhalten nenne ich infantil statt geschichtsbewusst, bei nicht wenigen Anwohnern der Straße zudem gepaart mit dem unverhohlen geäußerten Motiv, die Kosten von Umfirmierungen ihrer Anschriften im Falle einer Umbenennung zu vermeiden.

Hinzu kommt, dass viele die Zugehörigkeit Rosemeyers zur SS aus mangelndem Geschichtsbewusstsein nicht ernst genug nehmen, frei nach dem immer wieder zu hörenden Motto: ‘Was soll das ganze Theater! Haben wir nichts Wichtigeres zu tun? Was hat Rosemeyer denn Schlimmes verbrochen?’ Viele Lingener regi­strie­ren überhaupt nicht, dass die SS eine der schlimmsten Mörder- und Terrororgani­sa­tionen der Weltgeschichte war, der man sich nicht, wie viele immer noch meinen,  anschließen musste, um in der Nazi-Zeit überleben zu können, sondern der man aus Überzeugung oder Opportunismus beitrat im Wissen um deren menschen­verachtende Ziele als Schutzstaffel Adolf Hitlers.

Ich unterstelle den Ratsmitgliedern, die gegen die Umbenennung votierten, nicht, vergleichbare Motive zu haben und ähnliche Denkhaltungen zu pflegen. Aber viele von ihnen haben sich nicht genügend gegen solche Motive und Haltungen ge­äußert, sondern sie als vermeintliche Mehrheits­­meinung der Lingener Bevöl­kerung und damit für sich als gegeben und akzeptabel hingenommen.

Dagegen geht man in vielen anderen Städten mit dem Thema deutlich konse­quenter um. Dort werden auch Personennamen, die – anders als Rosemeyer – zweifelsohne Wichtiges für die Gesellschaft bewirkt haben, von Straßenbe­nennun­gen getilgt, wenn sie beispielsweise der SA angehörten.

Ich führe dazu zwei Beispiele aus Düsseldorf an: Im Stadtteil Flingern gab es seit 1991 eine Hans-Günther-Sohl-Straße. Hans-Günther Sohl war Vorstandsvor­sit­zen­der der Thyssen AG und Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Er starb 1989. 2017 wurde die Hans-Günther Sohl-Straße wegen Sohls Nazivergangenheit (Wehrwirtschaftsführer und Einsatz von Zwangsarbeitern) umbenannt in Luise-Rainer-Straße. 2018 richtete der Rat der Stadt Düsseldorf eine Kommission von Historikern ein, um die Straßennamen Düsseldorfs darauf hin zu untersuchen, ob es Personen gab mit Nazivergangenheit oder Personen, die sich in der Kolonialzeit etwas haben zuschulden kommen lassen. Die Kommission wurde vom Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Dr. Fleermann geleitet. Sie ermittelte 13 Straßennamen, die für eine Umbenennung in Betracht kamen. Zu ihnen gehört die Heinz-Ingenstau-Straße. Heinz Ingenstau war nach dem Krieg Landgerichtsdirektor in Düsseldorf und Herausgeber des Standard­werks des privaten Baurechts Ingenstau/Korbion. Er schied aus der Justiz aus, weil er Stadtdirektor der Stadt Düsseldorf wurde. Dort hat er sich einen unta­deligen Ruf und hohes Ansehen erworben und hatte zudem die Idee für den Neubau der Düsseldorfer Messe in Düsseldorf-Stockum. Er hat dann das Projekt entscheidend vorangetrieben und galt als Gründungsvater der Düsseldorfer Messe. In der Nähe der neuen Messe wurde eine Straße nach ihm benannt. Die Kommission fand heraus, dass Heinz Ingenstau Nationalsozialist und Mitglied der SA war. Er arbeitete als Jurist beim Gau-Ehrengericht und Gauschatzamt. Ingen­stau gehörte jedoch nicht der SS an. Die Kommission schlug im Mai 2020 eine Umbenennung der Heinz-Ingenstau-Straße vor. Der Rat der Stadt Düs­seldorf wollte vor der Umbenennung noch eine Bür­gerbeteiligung vornehmen. Dieses Jahr soll eine Entscheidung fallen. Der neue Straßenname soll dem Düsseldorfer Widerstands­kämpfer Josef Lauxtermann gewidmet werden. Die Rheinische Post will den Antrag unterstützen. 

Man möge den Fall Rosemeyer im Übrigen einmal vergleichen mit dem Be­streben, dem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder Auszeichnungen und Ehren abzuer­ken­nen, weil er den Krieg Putins nicht verurteilt. Fragte man die Gegner der Umbe­nennung, so wären sie sich mit sehr großer Mehrheit darin einig, Schröder alle Ehren abzuerkennen, obwohl er als Bundeskanzler sich mehr Ver­dienste erworben hat als Rosemeyer und keiner Mörder- und Verbrecher­organisation wie der SS angehört hat. 

Dagegen soll ein Rennfahrer, der einen für die Jugend wahrlich nicht vorbildhaften Sport betreibt, weiter geehrt werden mit einer vom damaligen Nazi-Bürgermeister Plesse vorgenommenen Straßenbe­nennung? 

Dieser Vergleich macht überdeutlich, dass im Fall Rosemeyer von vielen die falschen Maßstäbe angelegt werden. Und worin sollen eigentlich die Verdienste Rosemeyers liegen? Was  hat er für die Gesellschaft Positives bewirkt? Was ist an ihm der Ehren wert? Genügt etwa eine mittlerweile als antiquiert geltende Bewunderung waghalsiger Rennfahrerei als Grund für eine Ehrung? Das wäre reichlich wenig. In Lingen gibt und gab es durchaus wichtigere Menschen, die zu ehren wären.

Geplant ist, in Zukunft auch die SS-Zugehörigkeit als Erläuterung im Straßen­schild unter dem Namen Rosemeyer zu verzeichnen. Man stelle sich nun vor, Fremde kommen am Bahnhof in Lingen an und treffen direkt auf ein Stra­ßenschild, auf dem sie lesen, dass eine der wichtigsten Straßen einem SS-Hauptsturmführer im Offiziersrang gewid­met ist. Welchen Eindruck sollen sie von der Stadt gewinnen?

Viele, wie der Unterzeichner auch, waren stets stolz auf ihre Heimatstadt Lingen: Die Stadt und ihre Einwohner/innen haben ein äußerst gut funktionierendes Gemeinwesen aufgebaut, der Bürgersinn für das Gemeinwohl ist hochentwickelt. Die wirtschaftliche  Situation ist auch dank vieler erfolgreicher Unternehmen und leistungswilliger wie -fähiger Arbeitnehmer/innen hervorragend, die finanzielle Situation der Stadt ist ausgezeichnet. Das gut ausgebaute Bildungswesen und Sozialwesen inkl. der hervorragenden Kitas und das breite kulturelle Angebot können sich wirklich sehen lassen und übersteigen deutlich das Niveau ver­gleichbarer Städte. 

Nun aber ist durch die Entscheidung des Rats zahleichen Einwohner/innen Lingens der Stolz auf ihre Heimatstadt gebrochen und das Ansehen Lingens in Deutschland nachhaltig beschädigt worden.

Die Entscheidung des Rats der Stadt Lingen wird vor der Geschichte nicht stand­halten. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann eine Umbenennung erfolgen wird. Die Gegner der Umbenennung werden sich dann als vor der Geschichte als Zu-spät-Gekommene und Gestrige verantworten müssen.“

Georg Aehling

Georg Aehling, Verleger edition virgines,

Mitglied Forum Juden- Christen Altkreis Lingen e.V.